Vom Deichgrafen zum Brückenbauer

Matthias Platzeck kämpft für die deutsch-russische Verständigung

Vom Deichgrafen zum Brückenbauer

Vor fast fünf Jahren legte Matthias Platzeck aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als Brandenburgischer Ministerpräsident nieder. Dass er nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik eines Tages wieder von Termin zu Termin eilen würde, hatte sich der heute 65-Jährige so nicht ausgemalt.

Platzeck, seit 2014 Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, ist schwer gefragt: Er gibt Interviews, wird in die wichtigsten Talkshows des Landes eingeladen, hält Vorträge und ist gern gesehener Teilnehmer auf Konferenzen. „Meinen inzwischen erwachsenen Töchtern hatte ich angekündigt, ein besserer Opa sein zu wollen, als ich ihnen ein Vater war. Daran müssen sie mich jetzt wieder häufiger erinnern.“

 

In Sorge um die Zukunft Europas

Doch genau seine Kinder und Enkel sind es auch, die ihn antreiben, unermüdlich für einen Dialog mit Russland zu werben. „Wenn du so ein kleines Würmchen auf dem Arm hältst, interessieren dich nicht mehr nur die wenigen Dekaden, die dir selbst noch auf dieser Erde bleiben. Da fragt man sich plötzlich, was eigentlich in 80 Jahren sein wird.“ Und aktuell macht sich Platzeck große Sorgen um die Zukunft. Er sieht den Frieden in Europa ernsthaft in Gefahr. Die Lage sei explosiver als zu Zeiten des Kalten Krieges. Im Westen herrsche eine ausgeprägte Antihaltung gegenüber Russland und die deutsch-russischen Beziehungen glichen einem „Scherbenhaufen“. Dies müsse sich schleunigst ändern. „Wir sollten all unsere­ Kraft darauf verwenden, eine friedliche Koexistenz anzustreben“, so Platzeck, der nichts von den verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland hält. Denn diese hätten keinen einzigen positiven Effekt erzielt, sondern nur Verschlechterungen gebracht: einen größer werdenden Nationalismus in Russland, gestörte wirtschaftliche Beziehungen, zerrüttete politische Verhältnisse und ein immer lauter werdendes Säbelrasseln.

 

Willy Brandt als Vorbild

„Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber wir können aus ihr lernen“, ist sich der Leiter des Deutsch-Russischen Forums sicher. Willy Brandt und Egon Bahr, erinnert er, sorgten mit ihrem neuen außenpolitischen Kurs Ende der 1960er Jahre für Entspannung zwischen West und Ost, obwohl die Sowjets gerade in die Tschechoslowakei­ einmarschiert waren, um den Prager Frühling blutig niederzuschlagen. „Das waren sehr kluge und weitsichtige Menschen. Die hatten noch einen Krieg in den Knochen und den unbedingten Willen, eine erneute Eskalation zu verhindern.“ Wie damals bräuchten wir auch jetzt wieder „Wandel durch Annäherung“.

Vor allem solle Deutschland endlich den Wunsch der Russen nach einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur und die Angst vor einer Nato-Erweiterung ernst nehmen, mahnt Platzeck. Diese Bedingung für eine friedliche Zukunft auf dem europäischen Kontinent hatte Wladimir Putin bereits 2001 in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede vor dem Deutschen Bundestag formuliert und dafür von allen Fraktionen viel Beifall erhalten.

 

Etikett „Russlandversteher“

Bei einem Vortrag im Schloss Biesdorf Ende April gestand Matthias Platzeck, dass sein Engagement aktuell „nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig“ sei. Seitdem er für das Deutsch-Russische Forum unterwegs ist, sieht sich der populäre SPD-Politiker, der als Brandenburgs Umweltminister wegen seines Einsatzes beim Oderhochwasser 1997 als „Deichgraf“ gefeiert wurde, teils mit heftigem Gegenwind konfrontiert. Inzwischen haftet seinem Namen ein neues, sonderbares Etikett an: „Russlandversteher“ nennen ihn seine Kritiker und meinen das wenig schmeichelhaft. Der ehemalige Brandenburgische Ministerpräsident hat sich daran gewöhnt. Er wisse sehr wohl um die Sünden der Russen, doch Platzeck versucht eine andere Perspektive in die öffentlichen Debatten einzubringen. „Denn da sehe ich eine Marktlücke.“ Russland kritisieren, das täten genug andere. Er hat es sich auf die Fahnen geschrieben, eben auch Verständnis dafür zu vermitteln, warum die Russen so handeln, wie sie es tun, was sie antreibt und wie sie denken.

Platzeck selbst hatte schon immer einen besonderen Draht zu Russland. Er ist in Potsdam aufgewachsen, nahe der Glienicker­ Brücke. Rund um den Grenzübergang der Alliierten waren damals etwa 30.000 sowjetische Soldaten stationiert. In der Schule brachte ihm eine Lehrerin russische­ Bücher, Filme und Musik­ näher. Auch im Laufe seiner politischen Karriere blieb er dem einst großen Bruder verbunden. 

 

Zur Person

Anfänge: Matthias Platzeck wurde 1953 in Potsdam geboren und hat von 1974 bis 1979 biomedizinische Kybernetik in Ilmenau­ studiert. Zu DDR-Zeiten engagierte er sich als Umweltaktivist.

Karriere: 1990 war er parteiloser Vertreter der Grünen Partei in der Regierung Modrow. Fünf Jahre nach der Wende trat er in die SPD ein. Platzeck war von 2002 bis 2013 Ministerpräsident in Brandenburg und 2005 einige Monate  lang SPD-Parteichef. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte den beliebten Politiker zum Außenminister und Vizekanzler machen, doch Platzeck hielt Brandenburg die Treue.

Nach der aktiven Politik: Im August 2013 erlitt der damals 59-Jährige einen leichten Schlaganfall, woraufhin er alle politischen Ämter niederlegte. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Matthias Platzeck ist mit Jeane­tte Jesorka verheiratet. Aus seiner ersten Ehe stammen drei Töchter.

 

Foto: Deutsch-Russisches Forum e.V. / Monique Wüstenhagen