Mutter von Schulschwänzer vor Gericht

Seit 2 Jahren hat der 15-Jährige keinen Klassenraum mehr von innen gesehen

Mutter von Schulschwänzer vor Gericht

Die Mutter weckte ihren Sohn am Morgen und begleitete ihn nicht selten bis zur Schule. Lukas* aber schwänzte immer hartnäckiger. Erst Stunden, dann Tage, schließlich Wochen und Monate. Er war 13 Jahre, als er Ende 2017 den Schulbesuch gänzlich einstellte. Knapp zwei Jahre später muss nun seine Mutter die Anklagebank drücken.

 

Ines W.* ist 56 Jahre alt und hat vier Kinder. Drei sind bereits aus dem Haus. Schulprobleme gab es nur mit Lukas, dem Jüngsten. Bis es zu einer Anklage kam. „Gröblichst“ habe Ines W. ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt, heißt es darin. „Durch die Gleichgültigkeit gegenüber der seit nunmehr drei Schulhalbjahren andauernden Schulabstinenz“ habe sie Lukas der Gefahr ausgesetzt, „letztlich ohne jegliche Bildung zu bleiben“. Lukas­ werde bei der Polizei bereits als ein „kiez-orientierter Mehrfachtäter“ geführt. Die Pflegehelferin aus Hellersdorf wirkt hilflos, als sie die Vorwürfe hört. „Er war nicht zu bewegen, die Schule zu besuchen“, erklärt die Mutter. Sie habe alles versucht. „Ich habe meine Arbeitszeiten so gelegt, dass ich ihn morgens hinfahren konnte.“ Wenn sie weg war, sei er wieder gegangen. „Ich zählte ihm die Konsequenzen auf, ich sagte ihm, dass er sitzen bleibt, ich Strafen zahlen muss – es interessierte ihn nicht.“

 

In der Anklage heißt es auch, Ines W. habe Termine beim Jugendamt einfach nicht wahrgenommen, sei nicht kooperativ gewesen. Kopfschüttelnd hört sie das. „Wenn ich zu einem Termin nicht konnte, habe ich angerufen“, sagt die Mutter. Weil sie keinen Zugang mehr zu Lukas hatte, bat sie das Amt um Hilfe, erklärt sie. Man habe ihr ein Schulprojekt vorgeschlagen. Sie sollte ihn hinbringen. Doch wie sollte das gehen mit dem Jungen, der nicht will? Auch über eine Unterbringung in einem betreuten Wohnen wurde gesprochen. Lukas aber wollte nicht. „Man sagte mir, dass es gegen seinen Willen nicht geht.“

 

Lukas ist deutlich jünger als seine drei Geschwister. Ines W. war in den letzten Jahren alleinerziehend. „Sie war überfordert und hat das dem Jugendamt offen angezeigt“, sagt die Verteidigerin. Seit 2015 sei bekannt gewesen, dass es Probleme mit Lukas gebe. Vor einem Jahr gab Ines W. sogar Teile des Sorgerechts an das Jugendamt ab.

 

Nun sitzt sie vor einer Amtsrichterin. Obwohl es vier Schulversäumnisanzeigen gab, habe sich „nichts an ihrer Gleichgültigkeit geändert“, heißt es weiter in der Anklage gegen die Mutter. Zum Prozess ist auch Lukas, ein sehr schmaler und hoch aufgeschossener Junge mit freundlichem Lächeln, als Zeuge geladen. Doch er will nichts sagen und macht von seinem Schweigerecht als Sohn Gebrauch. Vor dem Saal plaudert er nett mit seiner Mutter. „Seit 2019 läuft es zwischen uns wieder deutlich besser“, so die Angeklagte. Lukas habe seit einigen Monaten einen Einzelfallhelfer. „Aber mehr ist bislang noch nicht passiert“. In der Schule fehle ihr Sohn weiterhin.

„Die Anklage hat sich nicht bestätigt“, sagt der Staatsanwalt am Ende. Ines W. habe getan, was sie konnte. Sie habe sich mit der Bitte um Hilfe an das Amt gewandt – mehrfach. Das stellt auch die Richterin fest: „Sie sitzen hier auf dem falschen Stuhl.“ Es gibt einen Freispruch auf Kosten der Landeskasse.                              

 

Kerstin Berg

(*Name von der Red. geändert)

 

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