„Die Stille in der Küche hat mich wahnsinnig gemacht“


Susan Kyewski, Inhaberin der Gaststätte "Zur S-Bahn" über die Corona-Schließzeit

Die Stille in der Küche machte sie wahnsinnig

Lange fühlte es sich wie ein böser Traum an. Doch die Hoffnung, im nächsten Augenblick schweißgebadet aufzuwachen und plötzlich wieder in einem vollen Restaurant zu stehen, schwand von Tag zu Tag. Dass Susan Kyewski vor knapp acht Wochen wegen der Corona-Krise ihre „Gaststätte zur S-Bahn“ in der Heinrich-Grüber-Straße schließen musste, ist bittere Realität. „Als ich die Nachricht bekam, habe ich zu Hause erst mal einen Heulkrampf bekommen und gedacht: Das kann alles nicht wahr sein. Die können mir nicht einfach meinen Laden zu machen.“

FAMILIENBETRIEB SEIT 1982

Seit 1982 befindet sich das beliebte Kaulsdorfer Lokal in Familienbesitz. Susan Kyewski arbeitet hier seit einem Vierteljahrhundert. Nach dem Tod ihres Vaters Norbert hat sie die Inhaberschaft übernommen. Nun kämpft sie wie eine Löwin um das Lebenswerk ihres Papas. „Nach einer ersten Schockstarre war schnell klar, dass es irgendwie weitergehen muss. Die Stille in der Küche hat mich wahnsinnig gemacht.“ Erst wurde renoviert, wenig später ein Außer-Haus-Konzept aus dem Boden gestampft. „Ganz viele Gäste kamen nach der Schließung auf uns zu und regten einen Abholservice an, weil sie uns unterstützen wollten und es auch satthatten, immer selbst zu kochen.“ Andere brachten Blumen oder schickten Postkarten mit aufbauenden Worten, berichtet die Restaurantbesitzerin. „Die Menschlichkeit und Solidarität, die wir in den vergangenen Wochen erfahren haben, ist unbeschreiblich.“

 

„ESSEN TO GO“ AUS DER S-BAHN

Am Gründonnerstag startete der Bestell- und Abholdienst. Die Speisekarte wurde verkleinert und auf die Webseite gestellt. Am ersten Tag gingen 53 Essen raus – ein großer Erfolg. Nach wie vor wird das Angebot gut angenommen. Zwischen 12 und 20 Uhr können „S-Bahn“-Klassiker wie Eisbein, Spare Ribs, Geflügelleber, Rinderroulade und Zanderfilet, Kaninchenkeule oder auch leckere Spargelgerichte telefonisch bestellt und direkt vor Ort abgeholt werden. Die Übergabe des Essens erfolgt kontaktlos am Hintereingang. Ein Ersatz für das Gastgeschäft ist das natürlich nicht, zumal der Getränkeumsatz und auch die Trinkgelder fehlen. „Wegen der Einnahmen machen wir das nicht. Es geht eher darum, weiterhin präsent, für unsere Gäste da zu sein.“

 

ENDLICH EINE PERSPEKTIVE

Warum gerade die Gastronomie von der Politik so lange im Stich gelassen wurde, erschließt sich Susan Kyewski nicht. Als die ersten Lockerungen verkündet wurden, auf Spielplätzen sich wieder Familien tummelten, große Warenhäuser zum Bummel einluden und sogar Friseure ihren Kunden die Haare schneiden, färben und fönen durften, schaute sie noch immer in die Röhre. „Das hat mich fassungslos gemacht. Wir haben einen Biergarten, können ausreichend Abstand zwischen den Tischen gewährleisten und auch sonst die erforderlichen Hygienevorschriften einhalten.“ Vergangene Woche dann die frohe Botschaft: In Berlin dürfen die Lokale ab 15. Mai unter strengen Auflagen wieder aufmachen.  Die Erleichterung in der „S-Bahn“ ist groß.  

Aber es bleibt dabei: Gastronomen wie Susan Kyewski gehören zu den großen Verlierern der Corona-Krise. Sie waren die Ersten, die dichtmachen mussten und werden wohl noch lange an der coronabedingten Zwangsschließung zu knabbern haben. Der umsatzstärkste Monat Mai ist schon fast rum. Hochzeiten, Jubiläen und andere Familienfeiern bleiben vorerst gestrichen.

 

ES BLEIBEN HARTE ZEITEN

Aufgrund der Abstandsregeln werden viele Inhaber Schätzungen zufolge nur 30 bis 50 Prozent des Vorjahresumsatzes erzielen können. Vor diesem Hintergrund sind die bisher beschlossenen Soforthilfen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Für ihr Restaurant mit zwölf Mitarbeitern hat die Kaulsdorfer Wirtin 15.000 Euro bekommen. Alle Beschäftigten musste sie in Kurzarbeit schicken. Ein Angestellter ist gerade zum zweiten Mal Papa geworden. „Der bekommt 67 Prozent seines Lohnes. In der Gastronomie reicht das kaum zum Leben aus.“ 

Zwar stellt die auf ein Jahr befristete Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent erst einmal eine Entlastung dar und es werden auch Hilfskredite in Aussicht gestellt, aber die müssen irgendwann wieder zurückgezahlt werden. Das Problem ist: Nach der Wiedereröffnung wird es für die Restaurants keinen Nachholeffekt geben. „Die Leute gehen ja dann nicht doppelt so oft essen, zumal viele wegen der Krise den Gürtel enger schnallen müssen“, merkt Susan Kyewski an.

Was ihr Kraft gibt, sind ihre großartigen Mitarbeiter und Gäste, Freunde, Familie und ganz besonders Papa Norbert: „Ich denke mir immer, der guckt von oben zu und schickt mir ganz viel Stärke und Optimismus.“

 

Speisekarte: www.zur-s-bahn.de

Bestellungen: T. (030) 56 27 00 3