Marzahn-Hellersdorf soll kinderfreundlicher Bezirk werden


Das Wohl der Jüngsten und ihrer Familien stand im Mittelpunkt der letzten BVV

Bezirk soll noch kinderfreundlicher werden

Wochenlang ohne Schule, Kita und Spielplatz, keine Besuche im Jugendklub oder bei den Großeltern, keine Geburtstage, kein Vereinstraining, keine Treffen mit Freunden: Es waren und sind noch immer harte Zeiten für Kinder. Wie es für sie und ihre Familien sowohl in der Krise als auch danach weitergehen soll, war das Top-Thema in der vergangenen Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

Mit Plastiküberziehern an den Füßen und Abstand zueinander bestritten Marzahn-Hellersdorfs Lokalpolitiker*innen am vergangenen Donnerstag ihre erste BVV nach fast dreimonatiger Pause. Aus Platzgründen wurde nicht wie sonst im Arndt-Bause-Saal des Freizeitforums getagt, sondern die geräumige Frauensporthalle als Ausweichquartier genutzt. Leere Ränge, in Folie eingewickelte Mikrofone und ein Rednerpult, das nach jedem Beitrag desinfiziert wurde – so sah sie aus, die Premieren-Sitzung unter Corona-Bedingungen.

 

Familien im Fokus

Gut zweieinhalb Stunden berichteten Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Die Linke) und die vier Stadträt*innen Juliane Witt (Die Linke), Thomas Braun (AfD), Gordon Lemm (SPD) und Nadja Zivkovic (CDU) ausführlich von der Arbeit des Bezirksamts in den zurückliegenden Wochen. Die Verordneten stellten fleißig Nachfragen und richteten dabei den Fokus vor allem auf die Situation von Familien im Bezirk. Es ging um die Notbetreuung in den Kitas und Schulen, die Bereitstellung von Tablets für beim Homeschooling benachteiligte Schüler*innen, um Hygienepläne, Mittagessenversorgung, Ferienfahrten und um coronagerechte Einschulungsfeiern.

 

Kinderschutzmeldungen leicht gestiegen

Angesichts der besonderen Umstände und enormen Belastungen für Familien erkundigte sich der Grünen-Verordnete Nickel von Neumann nach Auffälligkeiten bei den Kinderschutzmeldungen. Die Zahl sei leicht gestiegen, liege aber in etwa auf dem Vorjahresniveau, erfuhr er von Gordon Lemm. Der Stadtrat schlussfolgerte daraus, die Mitarbeitenden des Jugendamts seien während der Zeit der geschlossenen Türen nicht wie zunächst befürchtet völlig im Dunkeln getappt, sondern konnten durchaus Kinderschutz gewährleisten. Zwar fehlten Hinweise aus Kitas und Schulen, dafür seien Anzeigen aus der Nachbarschaft und durch die Polizei eingegangen. Doch die Dunkelziffer könnte hoch sein. Ob es einen „relevanten Anstieg“ von Misshandlungen und Verwahrlosungen gebe, werde sich erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, „wenn alle Kinder in den Kitas und Schulen sind, die Familienzentren wieder angelaufen werden und die Eltern sich vermehrt an uns wenden“, so Lemm.

 

Keine Einschulungsuntersuchungen 

CDU-Bildungspolitikerin Katharina Günther-Wünsch kritisierte den Wegfall der Einschulungsuntersuchungen. Die Tests werden normalerweise von den bezirklichen Gesundheitsämtern durchgeführt. Doch dort waren alle verfügbaren Kräfte über Wochen hinweg stark in die zahlreichen Corona-Aufgaben eingebunden. Ohne die Ergebnisse aus den Untersuchungen, mit denen der Entwicklungsstand und Förderbedarf von Schulanfänger*innen begutachtet wird, fehlten nun gesicherte Erkenntnisse über die gesundheitliche Situation der Kinder im Bezirk. „Die Schulen wissen überhaupt nicht, welche Kinder auf sie zukommen“, beklagte Günther-Wünsch.

 

Immerhin: Die Gefahr, es könnten nun massenweise nicht schulreife Mädchen und Jungen eingeschult werden, sieht das Bezirksamt nicht. Eltern mit Rückstellungswünschen hätten dies eigentlich schon vor der Corona-Krise beantragen und einen Termin zur Einschulungsuntersuchung für ihr Kind vereinbaren müssen. Für alle, die das verschwitzt haben, gilt: Über noch offene Rückstellungsanträge entscheidet die Außenstelle der Senatsbildungsverwaltung. Sollte zwischen Kita und Eltern Uneinigkeit über die Schulreife des Kindes herrschen, findet eine Begutachtung im SIBUZ, dem Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentrum, statt.

 

Bezirk will Kinder, Jugendliche und Familien weiter stärken

Da sich die Fraktionen im Vorfeld darauf verständigt hatten, die Sitzungsdauer der BVV aus Infektionsschutzgründen von fünf auf drei Stunden zu reduzieren, blieb nach dem Bericht des Bezirksamts nicht mehr viel Zeit für politische Debatten. So wurde vereinbart, in der restlichen halben Stunde lediglich einen überfraktionellen Antrag von SPD, Linken, CDU und Grünen etwas ausführlicher zu behandeln. Und auch darin ging es um die Familien in Marzahn-Hellersdorf und eine Fülle von Vorschlägen, wie das Bezirksamt diese entlasten und unterstützen könne (der Antrag als Download).

 

Als CDU-Verordnete, Schulleiterin und Mutter zweier Kinder machte Kathrin Henkel ihrem Ärger über das, wie sie sagte, Berliner „Bildungschaos“ und die Informationspolitik des Senats Luft: „Schulleitungen erhalten ihre Informationen vom rbb oder aus Pressemitteilungen.“ In ihrem Redebeitrag zum Antrag forderte Henkel, das neue Kita- und Schuljahr sorgfältig vorzubereiten – nicht erst in den letzten Ferientagen – und dafür zu sorgen, dass alle Kinder ein vernünftiges Betreuungs- und Unterrichtsangebot erhielten.

 

Eltern seien gerade mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert und am Ende ihrer Kräfte, betonte Sarah Fingarow, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. „In vielen Familien liegen die Nerven blank.“ Die Aufgabe von Politik sei es nun, die Belastungen durch die Corona-Krise für Familien „im größtmöglichen Umfang zu reduzieren.“ Den Antrag, der später von der BVV mehrheitlich beschlossen wurde, bezeichnete sie als einen „ersten Aufschlag“. Unter anderem müsse die Terminvergabe im Jugendamt hochgefahren, Präventionsangebote gestärkt und gemeinsam mit den Kita-Betreibern Wege gefunden werden, Betreuungsangebote auszubauen – etwa durch die Vermittlung zusätzlicher Räume.

 

SPD-Fraktionschefin Jennifer Hübner drängte darauf, die außerschulischen Einrichtungen nicht aus dem Blick zu verlieren und entsprechend zu unterstützen. „Wir hatten in Berlin schon einmal die Situation, dass viele Kinder- und Jugend-, aber auch Kultureinrichtungen peu à peu geschlossen werden mussten.“ Lob gab es von ihr für die Entscheidung des Bezirksamts, die vom Land Berlin zur Verfügung gestellten 300.000 Euro für Kinder-Ferienreisen auszugeben. „Das haben andere Bezirke nicht gemacht. Da geht Marzahn-Hellersdorf mutig voran.“ 

 

Auf dem Weg zur kinderfreundlichen Kommune

Vorangehen will der Bezirk auch in Sachen Kinderrechte. Ein entsprechender SPD-Antrag wurde am Donnerstag von der BVV ebenfalls mehrheitlich beschlossen. Darin wird das Bezirksamt aufgefordert, am Unicef-Programm „Kinderfreundliche Kommune“ teilzunehmen und die UN-Kinderrechtskonvention auf kommunaler Ebene umzusetzen. An der Initiative beteiligen sich bislang 30 Städte und Gemeinden, darunter Köln, Potsdam, Wolfsburg, Stuttgart und als bundesweit erster Bezirk Pankow. Nun will auch Marzahn-Hellersdorf Modellkommune werden. Damit das gelingt, sind alle Ressorts der Bezirksverwaltung aufgefordert, bei ihren Entscheidungen künftig die Rechte und Interessen Heranwachsender stärker zu berücksichtigen, junge Menschen zu fördern, einzubeziehen und zu beteiligen, zum Beispiel bei Fragen rund um die Entwicklung von Grünflächen und Straßenland, der Gestaltung von Kultur- und Freizeitangeboten, der Schulpolitik und der Gesundheitsvorsorge.