Ausgebremst und vom Rad gezerrt


Aus dem Gerichtssaal: Nach Beinahe-Unfall auf Supermarkt-Parkplatz:

Ausgebremst und vom Rad gezerrt

© Robert Kneschke - Fotolia.com
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Der Autofahrer will sich in ein gutes Licht stellen. „Wenn ich nicht so schnell reagiert hätte, wäre es sicherlich zur Kollision mit dem Radfahrer gekommen“, sagt Jan S.* vor dem Amtsgericht. Der Radler dagegen habe nach seinem riskanten Manöver auf einem Parkplatz ohne ein Zeichen von Einsicht und Entschuldigung seinen Weg fortgesetzt. „Deshalb wollte ich ihn zur Rede stellen“, gesteht der 53-jährige Familienvater. Vielleicht habe er sich „im Ton vergriffen“. Laut Anklage war es mehr: S. muss sich wegen Nötigung und Körperverletzung verantworten. 

 

Der Veranstaltungstechniker aus Hellersdorf war im September 2019 nach einem Besuch im Supermarkt gerade angefahren, als plötzlich Radfahrer Paul K.*, ein 24-jähriger Student, von links auftauchte. „Aus meiner Sicht hatte er mir die Vorfahrt genommen“, so der Angeklagte. 

Weil er sich im Recht fühlte und dem Radfahrer den vermeintlichen Verstoß nicht durchgehen lassen wollte, nahm Jan S. die Verfolgung auf. Student K. erinnert sich: „Plötzlich war der blaue Wagen da.“ Der Fahrer habe gehupt und durch das geöffnete Beifahrerfenster gebrüllt. „Es kann sein, dass ich in dem Moment in Richtung des Autos gespuckt habe“, gibt K. zu. Der Fahrer im Pkw habe beschleunigt und ihn geschnitten. „Dann sprang er aus dem Wagen, zerrte mich vom Rad.“ 

Jan S. packte den ihm körperlich deutlich unterlegenen Radfahrer an den Oberarmen und schüttelte ihn. Ein anderer Autofahrer stoppte und griff ein. „Der Mann war völlig von der Rolle“, schildert der Zeuge. Darum habe er die Polizei gerufen. 

 

Jan S. hört die Aussage mit gesenktem Kopf. „Ich weiß auch nicht, warum ich ausgerastet bin“, sagt er nachdenklich. Er sei viel im Auto unterwegs und würde immer wieder Radfahrer erleben, die sich nicht an die Vorschriften hielten. Der Richter aber sagt, vermutlich habe der Autofahrer mit seiner Annahme, ihm sei die Vorfahrt genommen worden, falsch gelegen. „Auf einem Parkplatz ist die Vorfahrtssituation oft unübersichtlich. „Rechts vor links“ gelte hier nur in bestimmten Fällen. Denn meistens handele es sich nicht um Straßen, sondern juristisch um Rangierflächen, die dafür da sind, einen freien Parkplatz zu suchen und ein- oder auszuparken. „Da greift der erste Paragraf der Straßenverkehrsordnung: das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.“ 

Eine Geldstrafe von 2.700 € (90 Tagessätze zu je 30 €) und zudem ein Fahrverbot von drei Monaten verlangt der Staatsanwalt. 

 

Jan S. wirkt ratlos. Müde hebt er die Arme: „Wie soll ich das denn bezahlen?“ Seit Monaten sei er wegen der Corona-Pandemie zum Nichtstun verdammt. Was damals mit dem Radfahrer geschah, tue ihm sehr leid. „So etwas wird mir nicht noch einmal passieren.“

Der Anwalt bittet um eine mildere Strafe. Schließlich stehe Jan S. erstmals vor Gericht. Seine beiden Kinder seien noch in der Ausbildung. „Finanziell ist er am Ende“, sagt der Anwalt. Der Richter folgt dem Staatsanwalt in der Anzahl der Tagessätze. Deren Höhe allerdings legt er auf 20 € fest. 1.800 Euro also soll S. zahlen. „Sie hatten keine Berechtigung, einen anderen Verkehrsteilnehmer zu belehren“, so der Richter.                     

 

Kerstin Berg

(*Namen von der Red. geändert)