Obdachlose: Wie ist die Situation im Bezirk?

Interview mit Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke)

Obdachlose: Wie ist die Situation im Bezirk?

Symbolfoto © megakunstfoto, Adobe Stock
Symbolfoto © megakunstfoto, Adobe Stock

Der Winter ist da. Zuletzt sank das Thermometer in der Nacht regelmäßig unter null Grad. Während sich die meisten von uns ins kuschelige Zuhause zurückziehen können, wird es für Menschen, die weder einen festen Wohnsitz noch eine Unterkunft haben, auf der Straße ungemütlich und auch gefährlich. Wir haben die für Soziales zuständige Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) zum Thema befragt. Im Interview spricht sie darüber, wie die Situation in Marzahn-Hellersdorf ist, welche Hilfen es gibt und warum es nicht gelingt, allen ein Dach über den Kopf zu vermitteln.

Uns haben in den vergangenen Tagen wieder viele Zuschriften von Leser*innen zum Thema Obdachlosigkeit erreicht. Im Sommer leben ja nicht weniger Menschen auf der Straße als im Winter, aber sobald es kalt wird und wir selbst frierend an der Bushaltestelle stehen, scheint uns die Problematik besonders nahe zu gehen.

Ja, das ist so. Ich denke, in der Kälteperiode wird es vielen Bürger*innen einfach noch einmal bewusster, wie hart das Leben auf der Straße ist. Man sieht auch wieder mehr Obdachlose, weil das schützende Grün weg ist. Und durch Corona verbringen die Menschen mehr Zeit zu Hause. Das macht zusätzlich sensibler und kritischer. Die Frage, warum in einem reichen Staat wie Deutschland zugelassen wird, dass Menschen kein Dach über dem Kopf haben, treibt viele derzeit um. Noch dazu entsteht durch die große Aufmerksamkeit für die Versorgung von Geflüchteten bei manchen der subjektive Eindruck, deutsche Wohnungslose würden womöglich schlechter behandelt.

 


Juliane Witt ist im Bezirk für Soziales zuständig. Im Interview mit der „Hellersdorfer“ sprach sie über Wohnungslose und Obdachlose im Bezirk. 

 

Wohnungslos ist nicht gleich obdachlos

Als obdachlos werden Personen bezeichnet, die weder festen Wohnsitz noch eine Unterkunft haben. Sie übernachten auf der Straße. Wohnungslos sind hingegen Menschen ohne Mietvertrag. Sie kommen beispielsweise in einer sozialen Einrichtung oder bei Freunden/Familie unter.

 


Wie viele Einrichtungen haben wir denn im Bezirk für Menschen, die kein Zuhause mehr haben?

Der Bezirk belegt vorrangig vier Unterkünfte in Marzahn-Hellersdorf, in denen sich aktuell 486 Wohnungslose aufhalten: Sie werden von urban-social am Blumberger Damm 12/14, von der Neustart GmbH und Neustart Berlin GmbH in der Otto-Rosenberg-Straße und von der BWV GmbH im Hellersdorfer Weg 33 b betrieben. Darüber hinaus gibt es noch in allen Ortsteilen ein Dutzend nicht vertragsgebundener Einrichtungen wie Hostels und Pensionen, die Plätze anbieten. 

 

Wie sieht es mit Schlafplätzen für Obdachlose aus – also jenen Leuten, die keine Unterkunft bei Freunden, Verwandten oder sozialen Trägern haben und tatsächlich in Grünanlagen und an Bushaltestellen übernachten müssten?

Es gibt in Marzahn-Hellersdorf zehn Kältehilfe-Plätze, die von Oktober bis März zur Verfügung stehen. Die befinden sich alle bei Neustart am Otto-Rosenberg-Platz. Dorthin können Obdachlose bis 21 Uhr gehen, erhalten ein Bett, Frühstück und die Möglichkeit, warm zu duschen

 

Reicht das Angebot aus?

Ich kann bislang nur vom vergangenen Jahr sprechen: Da waren sehr oft noch Schlafplätze frei. Generell sind die Außenbezirke für Obdachlose auch nicht ganz so attraktiv. Sie zieht es eher zum Zoo oder zum Alex, weil es dort mehr Optionen gibt, sich durch Zeitungsverkäufe und Flaschensammeln ein wenig Geld zu verdienen. Das ist wegen Corona allerdings viel weniger geworden: Es finden keine Großveranstaltungen statt und auch die fehlenden Partygänger*innen und Touris, die sonst jede Menge Leergut zurücklassen, machen sich bemerkbar. 

 

Sie waren bei der Nacht der Solidarität am Start. Freiwillige haben im Januar erstmals in Berlin obdachlose Menschen gezählt. Wie viele sind Ihnen begegnet?

Ich war in Mahlsdorf unterwegs und sehr bewegt, wie sehr sich die vielen Helfer*innen trotz der Kälte ins Zeug gelegt haben. Die Aktion wurde hervorragend organisiert. Begegnungen mit Obdachlosen hatte ich in meinem Gebiet aber nicht. Wir wissen hier im Bezirk von ungefähr zehn Menschen, die draußen leben. Die Dunkelziffer ist sicher höher.

 

Können Sie denen nicht helfen?

Wenn wir als Sozialamt erfahren, dass jemand auf der Straße lebt, involvieren wir das Ordnungsamt, gehen hin, sprechen die Person an, fragen, ob wir helfen können und verteilen immer auch Informationszettel mit Hilfsadressen. Aber nicht immer nehmen Obdachlose das Angebot auch an. Manchmal kommt es vor, dass psychische Probleme einen Aufenthalt in geschlossenen Räumen verhindern. Einige haben schlechte Erfahrungen mit Gruppen oder in Einrichtungen gemacht und meiden diese daher. Bei anderen hat sich im Laufe der Zeit so viel Zubehör wie Zelt, Schlafsack und anderes angesammelt, dass es schwer wird, damit irgendwo unterzukommen.

 

Jetzt zur Weihnachtszeit gibt es aber auch wieder viele kleine Hilfsaktionen. Wie kommen die bei den Obdachlosen an?

Auch solche niedrigschwelligen Aktionen sind wichtig – zum einen um die Not ein wenig zu lindern und den Menschen eine Freude zu bereiten, aber auch um die Problematik ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. In meiner Partei sind da zum Beispiel Sarah Fingarow und Laurenz Terl sehr aktiv. Sarah beschenkt jedes Jahr zu Weihnachten die Kinder der Obdachlosenunterkünfte am Otto-Rosenberg-Platz mit Spielzeug und Laurenz sammelt Sachspenden, die er mit jungen Menschen an Obdachlose auf der Straße verteilen will. Die CDU im Bezirk unterstützt den Wärmebus des DRK und hat dazu aufgerufen, Schlafsäcke zu spenden. Der Verein Mittendrin sammelt Lebensmittel und warme Sachen für Laib und Seele und regt zum Stricken für Bedürftige und Obdachlose an. Es gibt wirklich viele Initiativen.