Sein Meisterwerk: die Weltzeituhr

Bundesverdienstkreuz für den Biesdorfer Erich John

Sein Meisterwerk: die Weltzeituhr

Kaum ein Berliner kennt sie nicht: Die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz. Ihr Schöpfer ist der seit 1968 in Biesdorf lebende Industriedesigner Erich John. Am vergangenen Freitag wurde der 89-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel überreichte ihm die hohe Auszeichnung. Wir haben Erich John das letzte Mal 2016 zu Hause besucht. Anlässlich der jetzigen Ehrung möchten wir Ihnen den damals veröffentlichten Artikel noch einmal empfehlen:

Die Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz ist der wohl beliebteste Treffpunkt in der Stadt. Ob zum Sightseeing, zur Kneipentour, zum Rendezvous oder zum Shoppen: Seit Jahrzehnten verabreden sich Menschen aus aller Welt an der Rotunde mit ihren 24 Zeitzonen und dem stilisierten Planetensystem. Entworfen und aufgestellt hat das futuristische Bauwerk der in Biesdorf lebende Designer Erich John. Dort, wo Anfang des 20. Jahrhunderts eine Wettersäule der Berliner Uhrenfabrik „Urania“ gestanden hatte, sollte 1969 im Zuge der Neugestaltung des Alexanderplatzes eine neue Anlage den Passanten die Zeit anzeigen. Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den John, zu jener Zeit Dozent an der Kunsthochschule Weißensee, gewann. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, erinnert sich John. „Die Idee, nur wenige Jahre nach dem Mauerbau eine Weltzeituhr auf dem Alex zu bauen, war ja eine gehörige Provokation.“ 

 

Husarenritt geglückt

Die darauffolgenden neun Monate sollten die stressigsten im Leben des Designers werden. Denn so wenig Zeit blieb ihm für die Umsetzung seines Entwurfs. Über Hundert Helfer wurden mobilisiert und staatlich genehmigte Feierabendbrigaden gebildet, um die Weltzeituhr pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 fertigzustellen. 

Material beschaffte Erich John an der Planwirtschaft vorbei: So orderte er beispielsweise dringend benötigte große Kugellager kurzerhand aus Dortmund, um nicht drei Jahre auf deren Lieferung warten zu müssen. Getüftelt und gewerkelt wurde überwiegend in den Rathenower Optischen Werken. Mit einem Schwerlasttransport und Polizeigeleit ging es von dort nach Ost-Berlin auf den Alex. Am 30. September war das Meisterstück vollbracht. 

Seit Juli 2015 steht die zehn Meter hohe und 16 Tonnen schwere Weltzeituhr unter Denkmalschutz. Sie läuft bis heute mit einem Trabi-Getriebe, das sich als unverwüstlich erwiesen hat.  

 

Radio, Rasierer, Schreibmaschinen

Der Bau der Weltzeituhr bescherte Erich John mit gerade einmal 37 Jahren internationale Bekanntheit. Doch das Oeuvre des Produktdesigners beschränkt sich nicht allein auf das beliebte Wahrzeichen. Seinen ersten großen Erfolg hatte er bereits 1955 mit dem Entwurf für den Radioklassiker Undine II. Außerdem arbeitete der Wahl-Biesdorfer am Wartburg mit – designte unter anderem Lenkrad, Griffe und Sitze – und schuf zwei Prototypen für die Erika-Schreibmaschine. John gab auch dem am häufigsten in der DDR produzierten Mikroskop für den Biologie-Unterricht seine Form, gestaltete 1975 den Elektrorasierapparat Bebo Sher Fevorit und entwarf eine Reihe von Haushaltsutensilien, darunter Bestecke, Staubsauger und ein Mixgerät, die die DDR massenweise produzierte.


Sebastian Scheel, Senator für Stadtentwicklung und Wohnen: 

„Ich gratuliere Erich John zum Erhalt des Verdienstkreuzes am Bande. Mit seinen besonderen Leistungen auf dem Gebiet des industriellen Designs und der Formgebung der Weltzeituhr als für den Alexanderplatz prägnantes Symbol, hat er ein weithin bekanntes gestalterisches Erbe erschaffen. Nicht zuletzt ist die Anerkennung für Erich John auch eine Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen, die ihren Platz im wiedervereinigten Deutschland haben müssen.“  Foto: SenSW


Vom Flüchtlingskind zum Hochschulprofessor

Bis er mit seiner Leidenschaft Geld verdienen konnte aber war es für den Bauernjungen aus Nordböhmen ein steiniger Weg. „Meine Familie ist 1945 enteignet und ins Lager gebracht worden“, erzählt Erich John, der sechs Jahre zur Schule ging, ehe er mit 14 in einer Astbestfabrik schuftete. Im Juni 1946 wurden die Johns nach Neukloster in Mecklenburg gebracht. „Im darauffolgenden Winter, einem der kältesten des Jahrhunderts, sind wir fast verhungert.“ 

Zukunftssorgen quälten den jungen Erich John damals. Er fand zunächst keinen Ausbildungsplatz. Erst als im Ort der Lehrling einer Bauschlosserei in einem See ertrank, bekam er seine Chance. Nach der Lehre arbeitete er als Landmaschinenschlosser. Doch beim Ausladen von ungelöschtem Kalk verätzte er sich die Bronchien und konnte fortan die sechs Kilometer zur Arbeit nicht mehr mit dem Fahrrad zurücklegen. „Ich wusste nicht mehr weiter.“ Sein ehemaliger Berufsschul-Rektor legte dem mittlerweile 18-Jährigen nahe, sich an der neu gegründeten Fachschule für Angewandte Kunst in Wismar zu bewerben. „Er erinnerte sich daran, dass ich einst die Schulbänke mit nackten Frauen bemalt und das verunstaltete Holz an einem Sonnabend mit Glasscherben wieder hatte abziehen müssen.“ Und tatsächlich schlummerte künstlerisches Talent in ihm. Nach dem Studium in Wismar ging Erich John an die Kunsthochschule Weißensee und wurde dort einer der ersten Absolventen des neu eingerichteten Studiengangs „Formgebung für die Industrie“, heute „Produktdesign“.  Nach seinem Berufseinstieg sammelte John zunächst acht Jahre Erfahrungen in der Industrie. Schließlich kehrte er 1965 als Dozent an seine alte Hochschule zurück, wo er 1973 auch zum Professor berufen wurde.

 

Seit dem Rentenalter Weltenbummler

Nach seiner Emeritierung 1992 machte sich Erich John als Innenarchitekt selbstständig und unterstützte seinen Sohn beim Aufbau von dessen Baufirma. Als Rentner wurde der Schöpfer der Weltzeituhr zum Weltenbummler: Die Britischen und die Kanarischen Inseln, Thailand, Marokko, Tunesien und Ägypten sind nur einige von vielen Stationen. Außerdem fliegen Erich John und seine Frau Brigitta noch heute jedes Frühjahr für einen Monat nach Mallorca. Die Balearen-Insel sei nach Böhmen, Mecklenburg und Berlin zu seiner vierten Heimat geworden, betont John. Die Eindrücke von den Reisen hält der Hobby-Maler nicht nur mit dem Fotoapparat fest, sondern auch mit Acryl- und Ölfarbe. Über 200 Werke sind so entstanden. Sein Haus in Biesdorf, wo Erich John seit 1968 lebt, gleicht mittlerweile einem Atelier. 

 

Claudia Dressel