Von einstigen Dörfern zum Stadtrandbezirk

Im neuen Jahrbuch des Heimatvereins ist die Bildung Groß-Berlins Top-Thema

Von einstigen Dörfern zum Stadtrandbezirk

Wolfgang Brauer, Vorsitzender des Heimatvereins, hat für die neue Publikation unter anderem einen Beitrag über den Telefontäter von Marzahn und weitere verfilmte Kriminalfälle aus unserem Bezirk verfasst.
Wolfgang Brauer, Vorsitzender des Heimatvereins, hat für die neue Publikation unter anderem einen Beitrag über den Telefontäter von Marzahn und weitere verfilmte Kriminalfälle aus unserem Bezirk verfasst.

Der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf hat ein neues Jahrbuch vorgelegt. Schwerpunkt ist die Eingemeindung der Dörfer Marzahn, Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf sowie des Stadtgutes Hellersdorf im Zuge der Bildung Groß-Berlins. Damit wird ein wichtiges Kapitel der Entwicklung des Bezirks beleuchtet. Darüber hinaus findet sich in der Publikation allerlei Lesenswertes – vom „süßen“ Wirken Franz Carl Achards in Kaulsdorf bis hin zu Kriminalfällen, die sich hier in der Vergangenheit ereigneten.

Die Beiträge des Bandes beruhen im Wesentlichen auf Vorträgen von Autoren für den Tag der Regional- und Heimatgeschichte, der am 31. Oktober vergangenen Jahres stattfinden sollte, wegen Corona aber ausfiel.

 

Es ist die zweite Publikation des Heimatvereins dieser Art. Seit 2005 waren die Ergebnisse der jährlichen Tagungen unter dem Titel „Beiträge zur Regionalgeschichte“ in kleinerer Form veröffentlicht worden. 2020 erschien erstmals ein Jahrbuch mit weiter gefasstem Inhalt und größerem Umfang. Den Schwerpunkt der inzwischen vergriffenen Broschüre gab der 675. Jahrestag der Gründung von Mahlsdorf vor. 

 

Die Darstellungen des neuen Buches zum Schwerpunktthema Groß-Berlin sind auch für das heutige Verständnis der Stadtpolitik aufschlussreich. So stellt Heimathistorikerin Karin Satke in ihrem Beitrag dar, wie umstritten die Bildung einer Großgemeinde schon um die Wende zum 20. Jahrhundert war. Landkreise, Ministerien und Gemeinden sahen hierdurch ihre eigenen Interessen gefährdet. Dabei hatte das Heranwachsen zu einem eng vernetzten Großraum durch die Industrialisierung längst eingesetzt und schritt immer schneller voran. Standortentscheidungen, die Entwicklung des Verkehrsnetzes sowie der Wohnungsbau verliefen weitgehend planlos. Selbst die Bildung eines Zweckverbandes auf freiwilliger Basis wurde lange blockiert und erst 1912 auf Beschluss des preußischen Landtages in Angriff genommen. 

 

Die neuen politischen Verhältnisse nach der Novemberrevolution 1918 brachten neuen Schwung in die Bildung einer „Gesamtgemeinde“. Aber auch mit dem am 27. April 1920 beschlossenen Groß-Berlin-Gesetz ging das Hauen und Stechen weiter. Darüber informiert der Artikel von Heimathistorikerin Christa Hübner und Bezirksmuseumsleiterin Dorothee Ifland. So war zunächst umstritten, welche Gemeinden zur Hauptstadt gehören sollten und welche nicht. Manche Orte wie Mahlsdorf wollten unbedingt zum großen Berlin gehören, andere wie Marzahn sträubten sich. Und es ging weiter: Zur Debatte stand unter anderem, dass die damalige Gemeinde Marzahn in Gänze in den neuen „Distrikt“ Pankow eingehen sollte. 

 

In den Ausführungen zeigt sich ein historisches Spiegelbild des Wirrwarrs von allgemeinen und partikulären Interessen der wachsenden Großstadt. Und die Geschichte wiederholt sich in gewisser Weise – ob bei der Umbildung der Berliner Verwaltung im Jahr 2001 oder letztendlich auch ganz aktuell bei den Auseinandersetzungen um die Behandlung von City-und Randbezirken. Die Widersprüche sind seit der Eingemeindung der „Dörfer“ in Berlin weitgehend aktuell geblieben. Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Die Linke) verweist in ihrem Beitrag auf die immer wieder aufflammende Diskussion um die Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung. In dieser sind gegensätzliche Standpunkte und Interessen zwischen dem Senat, den Bezirken und Ortsteilen auszutragen. Nicht selten werden Probleme im Berliner Verwaltungsdschungel hin und her geschoben.  

 

Übrigens: Über das Thema Groß-Berlin informiert auch die Ausstellung „StadtRandLage“ im Bezirksmuseum, Haus 1 (Alt-Marzahn 51). Diese kann nach Vorlage eines tagesaktuellen negativen Corona-Schnelltests besucht werden. Öffnungszeiten sind von 10 bis 18 Uhr. Wie sich das verhält, wenn ein neuer bundesweiter Lockdown beschlossen werden sollte, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar.

 

Harald Ritter   

 

Das „Historische Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2020“ enthält auch eine Chronik des Jahres 2019. Es ist mit 240 Seiten noch mal deutlich dicker als die letzte Publikation und im Bezirksmuseum sowie in lokalen Buchläden erhältlich. Auch per E-Mail kann man sich ein Exemplar bestellen: evelyn@pixelfish.de. Die Schutzgebühr beträgt 10 €.