Dr. Heinrich Niemann, Stadtrat a. D.: „Alles so gut wie möglich machen”

Ex-Politiker Dr. Heinrich Niemann (76) bringt sich immer noch ein

"Alles so gut wie möglich machen"

In unserer Serie „EINFACH MACHEN“ stellen wir Menschen vor, die sich in besonderer Weise für den Bezirk engagieren – und das meist schon seit vielen Jahren. Diesmal haben wir Ex-Stadtrat Dr. Heinrich Niemann zum Gespräch getroffen.

Haben Sie sich gegen Corona impfen lassen, Herr Niemann?

Ja natürlich. Mich fuhr ein türkischer Taxi-Fahrer – ein Impfbefürworter. Zugleich stellte er eine Menge kritischer Fragen zur laufenden Pandemiebekämpfung.

 

Was sagen Sie als Arzt, Sozialmediziner und ehemaliger Gesundheitsstadtrat zur Pandemie?

Ganz banal gesagt: Eine Seuche bekämpft man mit den bewährten, anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Medizin und der Seuchenlehre. Ein Kernpunkt dabei ist die Kontaktverfolgung, für die meines Erachtens immer noch zu wenige Kräfte vorhanden sind bzw. eingesetzt werden können. Man muss auch schauen, aus welchem Milieu die Erkrankten kommen und wie sich das Virus in den verschiedenen Altersgruppen und Umfeldern bewegt. Das wird zu wenig gemacht.

 

Sie sind Hellersdorf treu geblieben. Seit wann leben Sie hier?

Meine Familie ist 1981 in das Neubaugebiet gezogen und meine Frau und ich sind hier immer noch glückliche Erstbewohner. Kaum zu glauben, was im Komplexen Wohnungsbau der DDR in seinen gigantischen Dimensionen mit knappen Finanzmitteln zustande gebracht wurde. Und ich freue mich darüber, dass Wohnungen in dieser Gegend heute wieder sehr begehrt sind. Aktuell werden in Marzahn-Hellersdorf mit die meisten neuen Wohnungen gebaut. Ob dies um jeden Preis geschehen soll, kann man hinterfragen. Einer der Schwachpunkte im Vergleich zu früher ist, dass dieser heutige Wohnungsbau unzureichend die benötigte Infrastruktur integriert, also zum Beispiel Kita-, Schul- und Klubbauten.

 

Was veranlasste Sie, 1992 als PDS-Mitglied in die Hellersdorfer Bezirkspolitik einzusteigen?

Zu DDR-Zeiten war ich in der Gesundheitsverwaltung tätig, da spielte die Sicherung der medizinischen Betreuung in den Neubaugebieten eine große Rolle und vor allem die Frage: Wie geht es mit dem Krankenhaus Kaulsdorf weiter? Schon damals ging es um die Zukunft des Hauses, besonders unter baulichen Aspekten. Auch manche Ärzte mussten wirklich überzeugt werden, dort Verantwortung zu übernehmen. Mein Wirken nach der Wende mit einbezogen, bin ich ein wenig stolz auf meinen Anteil daran, dass das Krankenhaus eine städtische Einrichtung geblieben ist und nicht privatisiert oder gar geschlossen wurde.

 

Was war für Sie als Bezirkspolitiker besonders wichtig?

Die Zeit als Bezirksverordneter mitgerechnet, war ich 23 Jahre lang politisch aktiv. Da gäbe es natürlich viel zu sagen. Neben Themen wie das öffentliche Gesundheitswesen und den „Stadtumbau“ – hier ging es auch um die Verteidigung der schlecht geredeten Platte – bewegten mich die Juwelen des Bezirks, wie das Mahlsdorfer Gutshaus mit Park, der Wuhletal-Wanderweg und die Parks in Helle Mitte. Den Wert solcher Schätze zu pflegen, bleibt eine dauerhafte Aufgabe.

 

Zwei der „Juwelen“ unterstützen Sie als Vereinsmitglied. Was steht aktuell an?

Der „Freunde Schloss Biesdorf e.V.“, dessen Vorsitzender ich seit 13 Jahren bin, setzt sich derzeit für den Einbau einer Klimaanlage für die Galerieräume ein, sodass auch kostbare Bilder Bestandteil von Ausstellungen werden. Zum Beispiel konnten im vorigen Jahr Werke von Otto Nagel nicht wie geplant ausgestellt werden.

 

Und was ist sonst noch zu tun?

Wir als Verein bieten monatliche Vorträge gemeinsam mit der Volkshochschule an, wir haben das Format „Biesdorfer Begegnungen“ mit namhaften Persönlichkeiten entwickelt, und wir organisieren Führungen durch Schloss und Park. Das sind im Jahr bis zu 50 Aktivitäten, von Corona mal abgesehen.

 

Wem schreiben Sie den Sanierungserfolg des Schlosses zu?

Hier hat der Erfolg viele Mütter und Väter. Aber ohne unseren Verein wäre der Wiederaufbau schwer vorstellbar. Fast unglaublich, dass der kleine Verein zwischen 2002 bis 2007 als Bauherr die Sanierung der äußeren Schlosshülle verantwortet hat. Hochachtung gebührt meinem Vorgänger Dr. Günter Peters und anderen Akteuren. Und sehr oft fanden überzeugende Vorschläge Unterstützung im Senat, bei den Denkmalpflegern und parteiübergreifend im Bezirk.

 

Welche Rolle spielt der Verein der Gärten der Welt?

Zunächst: Ich freue mich über die Aufwertung des Kienbergs und auch darüber, dass seit 2017 der Gottfried-Funeck-Weg denjenigen ehrt, der 1987 die Berliner Gartenschau mit entworfen und ihr Entstehen geleitet hat. Der Verein, deren Gründungsvorsitzender ich war, hat unter anderem die Geschichte der Gärten der Welt publiziert und bringt sich mit Vorträgen, Führungen und Symposien ein.

 

Ist der Verein an konzeptionellen Überlegungen beteiligt?

Da gibt es noch Baustellen, es geht immer noch um eine besucherfreundliche Organisation, beispielsweise um die Gastronomie, um Eintrittspreise für Familien und natürlich auch die Seilbahn. Sie muss Teil des öffentlichen Nahverkehrs werden, darüber ist sich auch die Bezirkspolitik einig.

Hoffentlich zieht sich das Seilbahn-Thema nicht ewig hin.

Dauerbrenner haben wir im Bezirk leider genug wie etwa wichtige Verkehrsfragen in Mahlsdorf. Auch mit der Zukunft von Helle Mitte sollten sich die Akteure wieder systematisch befassen. So könnten die anliegenden Bankfilialen die Aufenthaltsqualität des Alice-Salomon-Platzes fördern. Und wie machen wir uns, nahe dem U-Bahnhof Helle Mitte, den doppelten Park mit seinen originellen berlinischen Elementen mehr zu eigen?

 

Der Bezirk liegt Ihnen weiterhin am Herzen. Was treibt Sie an?

Zeit meines Lebens habe ich versucht, die mir gestellten Aufgaben so gut wie möglich zu lösen. Dabei entsteht eine emotionale Bindung, die dann wiederum hilft, Lösungsmöglichkeiten zu finden. 

 

Sie waren Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW – wie haben Sie die Bewegung erlebt?

Eine Sensation war, dass 1980, mitten im Kalten Krieg, eine pazifistische, blockübergreifende Bewegung zwischen Ost und West entstand und die IPPNW-Gemeinschaft Tausender Mediziner aus 60 Ländern sich international Gehör verschaffte. Das hat mich von Anfang an stark berührt, denn es ging um nichts Geringeres als die Verhütung eines Atomkrieges. So kam es, dass wir als IPPNW-Ärzte in der DDR auch gegen sowjetische Atomtests protestierten. Wir organisierten Vorträge, Konzerte, ein großes Wandbild am Alex, ein internationales Symposium. Auch DDR-kritische Ärzte arbeiteten mit. Ermutigend war, dass an die PPNW bereits im Jahr 1985 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Als Geschäftsführer der DDR-Sektion arbeitete ich bis 1990.

 

Sind Sie noch Mitglied?

Ja, ich bin Mitglied der nach 1990 vereinigten und weiter aktiven IPPNW-Sektion der Bundesrepublik. Allerdings wird leider die Arbeit der vielen Ärzte und Studenten in der DDR entweder ignoriert oder geringgeschätzt. Nicht einmal die beiden Vorsitzenden, die namhaften Mediziner Prof. Moritz Mebel (1923-2021) und Prof. Mitja Rapoport (1912-2004), werden bisher erwähnt. Und die nukleare Rüstung wird ja fortgesetzt, obwohl einer der damaligen „Schuldigen“ aus Westsicht, der böse Kommunismus, nicht mehr existiert. 

 

Wenn Sie zurückschauen – hätten Sie etwas anders gemacht?

Da gibt es sehr wenig. Insgesamt bin ich stolz auf mein Mitwirken auf den verschiedenen Gebieten. Und natürlich werde ich mich weiter einbringen. 

 

Gespräch: Ute Bekeschus


Zur Person:

Aufgewachsen in Waltersdorf /Jonsdorf/Oberlausitz im Zittauer Gebirge, kleinbäuerliche Wirtschaft des Großvaters. Nach Abitur Berufsabschluss als Motorenbauer­. Medizinstudium an der Charité bis 1970, ursprünglich Kinderarzt, dann Facharzt für Sozialhygiene/Sozialmedizin. Promotion zu Internationalen Tendenzen der Ärzteausbildung. Verheiratet, drei Kinder. Erstbewohner einer Plattenbauwohnung seit 1981 in Kaulsdorf-Nord. Arbeit in der Berliner Gesundheitsverwaltung und -politik. 1986-1990 Verantw. Sekretär (Geschäftsführer) der DDR-Sektion der Internationalen Ärztebewegung gegen den Nuklearkrieg (IPPNW).

Arbeitslosigkeit, Umweltjournalistische Fortbildung – Beiträge zu Gesundheitspolitik und Umweltfragen, dabei Film über den Naturschützer Heino Mosel. 1992-2006 Bezirksstadtrat für die PDS/Die LINKE in Hellersdorf bzw. Marzahn-Hellersdorf, Ressorts Gesundheit, Umweltschutz, Ökologische Stadtentwicklung. Für den Bezirk Reisen nach Lissabon (Auszeichnung von Hellersdorf), Moskau (Städtepartnerschaft Berlin-Moskau), Hiroshima­ und Vancouver (Int. Bewegung Bürgermeister für den Frieden). Bis 2015 Bezirksverordneter der LINKEN.

1994-2014 Vorsitzender des PAD e.V., (freier Jugendträger, Suchtprävention), 2009 Gründungsvorsitzender des Vereins „Freunde der Gärten der Welt“. Seit 2008 Vorsitzender des Vereins „Freunde Schloss Biesdorf“, Gründungsmitglied der Vereine „Medizin und Gesellschaft“, Bürgerverein Mahlsdorf Süd. Aktive Mitgliedschaft im Netzwerk „Gesunde Stadt“ der Bundesrepublik (seit 1995). Bis 2006 erster Leiter der AG Ost des kommunalen Nachbarschaftsforums Berlin und Brandenburg. Projektleiter von LHASA (EU-Projekt mit 6 Ländern zur Erhaltung von Neubausiedlungen). EXPO 2000 (Das Hellersdorf Projekt – Auszeichnung). Mehrere Buch-, Konferenz- und Pressebeiträge über den Bezirk.