Eltern fit und stark machen: Bezirk startet Plakatkampagne

Vierwöchige Aktion in Marzahn-Hellersdorfer Bahnhöfen

Eltern fit und stark machen: Bezirk startet Plakatkampagne

Das Jugendamt will mit einer Plakataktion Väter und Mütter bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben unterstützen. Im Rahmen einer Pressekonferenz wurden am Dienstag die insgesamt vier verschiedenen Kampagnenmotive vorgestellt. Sie richten den Fokus auf das gesunde Aufwachsen von Kindern und sind in den kommenden vier Wochen in allen U-Bahnhöfen des Bezirks sowie an S-Bahn-Stationen in Marzahn zu finden. 

Die Familie auf dem Poster, das seit Kurzem in einem der Schaukästen am U-Bahnhof Biesdorf-Süd hängt, sieht glücklich aus: Der Papa trägt seine kleine Tochter auf den Schultern. Die wiederum beugt sich zur Mama runter und drückt dieser einen dicken Kuss auf die Lippen. „Echter Ehrenmann. Nimmt sich nicht nur für seine Kumpel und Kollegen Zeit“ steht unter dem Bild in großen weißen Buchstaben auf farbigen Grund geschrieben. Daneben sind der leicht provokante Claim „Kannste auch, oder?!“ und ein QR-Code abgebildet. Ergänzende Informationen zur hohen Alleinerziehendenquote in Marzahn-Hellersdorf (knapp 35 %) und zur Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Kindern komplettieren das Plakat. Die Botschaft ist klar: Coole Papas kümmern sich um ihren Nachwuchs, denn sie werden gebraucht und sind durch nichts zu ersetzen.

 

Aufklärung statt Stigmatisierung

„Wir wünschen uns starke Eltern und möchten Sie beim gesunden und glücklichen Aufwachsen ihrer Kinder begleiten und wenn nötig unterstützen“, sagt der in Marzahn-Hellersdorf für Familien zuständige Bezirksstadtrat Gordon Lemm (SPD). Die Kampagne soll dazu möglichst einen Beitrag leisten. Sie thematisiert mehrere Risikofaktoren für eine ungünstige Kindesentwicklung. Unter anderem geht es ums Rauchen in der Schwangerschaft, um digitalen Medienkonsum, Zahnpflege, gesunde Ernährung, Achtsamkeit und die Mutter-Vater-Kind-Bindung. Statt einfach nur den Zeigefinger zu erheben, möchte das Jugendamt Eltern und alle, die es noch werden wollen, für grundlegende kindliche Bedürfnisse sensibilisieren und gleichzeitig Anregungen und Erziehungstipps geben. Über den QR-Code auf den Plakaten etwa lassen sich mit dem Smartphone Beratungs- und Hilfsangebote aufrufen.

 

Viele Vorschulkinder mit Defiziten in der Entwicklung

Hintergrund der Plakatkampagne ist, dass etliche Mädchen und Jungen in Marzahn-Hellersdorf unter schwierigen Umständen aufwachsen. Viele Kinder werden von nur einem Elternteil großgezogen, leben in Raucherhaushalten und sitzen zu früh zu lange vor Smartphone, Tablet und Co. Fast ein Viertel leidet an Über- oder Untergewicht. Jedes fünfte Kind hat behandlungsbedürftige Zähne. Auch die jährlichen Ausgaben für die vom Jugendamt vermittelten „Hilfen zur Erziehung“ (HzE) sprechen eine deutliche Sprache. Sie liegen aktuell bei 91 Millionen Euro.

 

Was passiert, wenn der Nachwuchs zu Hause nicht ausreichend gefördert wird, offenbaren Jahr für Jahr die Einschulungsuntersuchungen. Die jüngsten Erhebungen attestierten über 60 Prozent aller künftigen Erstklässler*innen einen Förderbedarf – und das obwohl 89 Prozent der Kinder zuvor zwei Jahre lang oder länger eine Kita besucht haben. „Wir schlussfolgern daraus, dass es aus dem Elternhaus nicht immer die Unterstützung gibt, die notwendig wäre“, so Lemm. Vor allem Sprachdefizite (jedes dritte Kind) sind weit verbreitet, aber auch Störungen der Auge-Hand-Koordination (30 %). Für die gesamte Schulkarriere und Zukunft kann das gravierende Folgen haben. 

 

Jugendamt setzt auf „Elternaktivierung“

Weil es kaum möglich ist, in Kita und Schule alle familiären Versäumnisse auszubügeln und Entwicklungsdefizite vollständig auszugleichen, hat das Jugendamt 2015 begonnen, noch stärker auf Frühprävention zu setzen und dabei insbesondere die Mütter und Väter in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken – sie also für den Familienalltag fit zu machen.

 

Der Bezirksstadtrat spricht von „Elternaktivierendem Jugendamt“ und seine Mitarbeiterin Maria Fritsche berichtet auf der Pressekonferenz, wie sich das Jugendamt entsprechend diesem Ansatz in den vergangenen Jahren neu aufgestellt hat. „Die Kolleginnen und Kollegen wurden zum Beispiel in einer speziellen elternaktivierenden Methode der Gesprächsführung geschult“, erläutert Fritsche.

Auch seien Schnittstellen optimiert, bestehende Angebote überarbeitet und neue Angebote konzipiert worden. Ein Beispiel: das Haushaltsorganisationstraining – eine aufsuchende Hilfe für in desolaten Wohnverhältnissen lebende Familien. Die Kampagne ist nun ein weiterer Baustein: „Ich verstehe sie als Auftakt, die Eltern ganz offensiv anzusprechen“, sagt Fritsche, die in der Fachsteuerung des Jugendamts für die Hilfen zur Erziehung zuständig ist und auch für das sogenannte Flexibudget, aus dem die jetzige Kampagne finanziert wurdeGordon Lemm ergänzt, die Kampagne sei Teil einer längerfristig angelegten Strategie, „bestimmte wichtige Themen direkt im Sozialraum anzusprechen.“ Geplant seien dazu in einem nächsten Schritt auch spezielle Veranstaltungen.

 

Plakate sollen neugierig machen und zum Nachdenken anregen

Von den Plakaten erhofft sich das Jugendamt, dass diese von Eltern wahrgenommen werden und dazu anregen, sich Gedanken über die eigenen Stärken, aber vielleicht auch Schwächen in der Erziehung der Kinder zu machen. Maria Fritsche sagt: „Im besten Fall erkennen Mütter und Väter eigene Unzulänglichkeiten oder Probleme und treffen Entscheidungen“ – etwa die, vielleicht doch mal mit dem Nachwuchs zum Zahnarzt zu gehen, in der Schwangerschaft die Finger von Zigaretten zu lassen oder mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen, statt es vor dem Fernseher oder Smartphone zu „parken“.

 

Auch Jugendamtsleiter Heiko Tille hofft, dass die Botschaften des Jugendamts ankommen. Hinter allen Beteiligten liege ein spannender Entstehungsprozess, erzählt er. Die Herausforderung sei es gewesen, nicht zu stark zu provozieren und belehren zu wollen. „Am Ende haben wir eine positive Motivik gefunden, die einen hingucken lässt und die hoffentlich neugierig macht.“ Zudem würden die Plakate allein schon durch den QR-Code eine Vielzahl an Möglichkeiten bieten. Er persönlich sei mit dem jetzigen Ergebnis jedenfalls „extrem zufrieden“, so Tille.