Rundgang durch das Rauschen in den Köpfen

Aktuelle Ausstellung in der Galerie Schloss Biesdorf

Rundgang durch das Rauschen in den Köpfen 

In einem Ausstellungsraum abgestellte Plakate dokumentieren die Kunstaktion „Political Extras“, mit der die russische Künstlerin Anna Jermolaewa die Fragwürdigkeit politischer Rituale aufdecken will. © Jermolaewa/Clifford
In einem Ausstellungsraum abgestellte Plakate dokumentieren die Kunstaktion „Political Extras“, mit der die russische Künstlerin Anna Jermolaewa die Fragwürdigkeit politischer Rituale aufdecken will. © Jermolaewa/Clifford

Passend zu geschlagenen Wahlschlachten und Wertewandel präsentiert die Galerie Schloss Biesdorf ihre aktuelle Ausstellung. Unter dem Titel „Werterauschen“ sind 13 Arbeiten von Künstlern und Künstlergruppen zusammengefasst. Es handelt sich um raumfüllende Installationen, Videoarbeiten, Malerei, Fotografie und Soundarbeiten. 

Wer die Ausstellung besucht, sollte sich darauf einstellen, Bekanntes und doch immer wieder Verdrängtes in neuen Kontexten und Zusammenhängen zu erfahren. Die Ausstellungsmacher wollen die Besucher ganz bewusst mit verstörenden Begleiterscheinungen der heutigen Zivilisation konfrontieren. Es geht um Globalisierung, Turbokapitalismus oder auch Digitalisierung. Der erste und bleibende Eindruck, den die Arbeiten in der Überschau vermitteln, lautet: Die Welt ist undurchschaubarer, unübersichtlicher und fragmentarischer geworden. 

 

Dahinter verbergen sich Fragen nach den wahren Werten, nach solchen, die gelten sollten. Die Antworten, lässt sich ahnen, werden sich nicht im Wahren, Schönen und Guten finden lassen, die in klassischer Tradition am Anfang der industriellen und bürgerlichen Revolution standen. Vielfach wird hinterfragt, welchen Weg die menschliche Gesellschaft, die Kultur, seitdem genommen hat und wie sich deren vorläufiger Endpunkt, die heutige Zwischenzeit, bewerten lässt. Selbst Proteste und Alternativen werden auf den Prüfstand gestellt. 

 

Letzteres wird beispielsweise in der Filminstallation „Vierundzwanzig Stunden und ein Arbeiterlied“ von Michaela Schweiger zelebriert. Zu sehen sind darin Tagesabläufe und Arbeitswelten von Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Zu den Protagonisten gehören eine Puppenspielerin, ein Wachmann und ein Flughafenarbeiter. Die Arbeitsroutinen werden regelmäßig von einem Chor unterbrochen, der ein Arbeiterlied skandiert. Doch der Gesang sowie die dazugehörigen Bilder zerfallen immer wieder und konterkarieren die vorgetragene Hoffnung auf ein erfülltes Leben. 

 

Für seine Arbeit „Mad As Hell Bank“ hat Sven Kalden einen „Bankraum“ in die Ausstellung installiert. Das  Kunstwerk besteht primär aus einem riesigen Ornament als Logo der Bank, Münzen und Scheinen. Werbeplakate sind zu Protestschildern umfunktioniert. Inhaltlich bezieht sich der Künstler auf den Film „Network“ von Sydney Lumet aus dem Jahr 1976. Darin wird die ungerechte Verteilung von Vermögen, die Polarisierung in der Gesellschaft und als Folge die anwachsende Unzufriedenheit bei größeren Teilen der Gesellschaft thematisiert. Angstgefühle, Isolation im Homeoffice und um sich greifende Wut prägen die Gegenwart. 

 

Die in Österreich geborene Künstlerin Heidrun Holzfeind wiederum stellt in der Videoinstallation „never neverland“ drei Beispiele für alternative Lebensweisen in Kalifornien, Österreich und Slowenien vor. In den drei jeweils 20-minütigen Streifen kommen Akteure in Interviews zu Wort und es wird der Alltag in „East Jesus“, „Momoland“ und „Pachamama“ vorgestellt. 

Heidrun Holzfeind geht in ihrer Arbeit Fragen nach der Art von Freiheit nach, die in einer Entscheidung für einen alternativen Lebensstil gewonnen werden kann: Ist es wirklich möglich, auf diese Weise dem globalen System des neoliberalen Kapitalismus zu entfliehen? 

 

In der Summe wirft die Ausstellung Fragen auf, die heute viele Menschen bewegen. Sie gibt keine Antworten vor, sondern erschüttert durch zunächst befremdende Sichtweisen auf die Dinge unseres Alltags. Antworten müssen die Besucher selber finden und dabei durch die teils beängstigenden Szenarien schreiten. „Werterauschen“ ist ein verwirrender Gang durch eine zerbrechende Welt, der gleichwohl erhellend sein kann. 

 

 

Die Ausstellung „Werterauschen“ ist in der Galerie Schloss Biesdorf (Alt-Biesdorf 55) bis 14. November zu besichtigen. Eintritt ist frei. Öffnungszeiten sind täglich von 10 bis 18 Uhr, freitags von 12 bis 21 Uhr. Dienstags ist geschlossen. Mehr Infos auf www.schlossbiesdorf.de

 

Harald Ritter