Nachwahl im Marzahner Norden möglich

AGH-Wahl: Über 500 Erststimmzettel nicht ausgegeben. Mandatsrelevanz möglich

Nachwahl im Marzahner Norden möglich

Die zahlreichen Pannen am Superwahlsonntag haben ein juristisches Nachspiel. Wie am Donnerstag bekannt wurde, will die Landeswahlleitung selbst Einspruch beim Berliner Verfassungsgerichtshof gegen die Ergebnisse der Abgeordnetenhauswahl einlegen. Der Grund: In zwei hoch umkämpften Wahlkreisen könnten die Verstöße gegen das Wahlrecht mandatsrelevant sein. Einer davon liegt in Marzahn-Hellersdorf.

Warteschlangen teilweise bis weit nach 18 Uhr, nicht ausgegebene, fehlende oder sogar vertauschte Stimmzettel und Verzögerungen bei der Zusendung der Briefwahlunterlagen: In Berlin ging rund um den 26. September so einiges schief. Alles in allem soll es in 207 der insgesamt 2.257 Wahllokale Probleme gegeben haben. Das räumte die wegen des Fiaskos bereits zurückgetretene Landeswahlleiterin Petra Michaelis in der Sitzung des Landeswahlausschusses am Donnerstag ein. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen hat Michaelis nun die von ihr selbst zu verantwortenden Wahlergebnisse teilweise angefochten. Konkret geht es um den Wahlkreis 6 in Charlottenburg-Wilmersdorf und den Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf. Ob die Menschen hier erneut zur Wahlurne gebeten werden müssen, wird nun vom Berliner Verfassungsgerichtshof überprüft. 

 

Große Panne, knappes Ergebnis

In beiden Wahlkreisen ging es so eng zu, dass die dort festgestellten Unregelmäßigkeiten Auswirkungen auf die Verteilung der Direktmandate gehabt haben könnten, erklärte Michaelis. So waren etwa in Ahrensfelde-Süd, Marzahn-West und Marzahn-Ost 509 Erststimmzettel nicht ausgegeben worden. Den Wahlkreis gewann AfD-Kandidat Gunnar Lindemann denkbar knapp mit nur 70 Stimmen Vorsprung vor SPD-Bezirksstadtrat Gordon Lemm und 292 Stimmen vor dem Linken-Fraktionschef in der BVV, Bjoern Tielebein. Angesichts dieser Konstellation könne nicht ausgeschlossen werden, erläutert der Geschäftsstellenleiter der Landeswahlleitung, Geert Baasen, „dass bei korrekter Ausgabe der Stimmzettel eine andere Person diesen Wahlkreis gewonnen hätte.“ 

Wann das Landesverfassungsgericht das Urteil fälle, könne er nicht prognostizieren, so Baasen gegenüber der „Hellersdorfer“. Laut Berliner Wahlordnung muss eine Wiederholungswahl spätestens 90 Tage nach der Entscheidung im Wahlprüfungsverfahren stattfinden. 

 

Unregelmäßigkeiten auch in anderen Marzahn-Hellersdorfer Wahlkreisen

„Der Wahlabend hört irgendwie nicht auf“, kommentiert Bjoern Tielebein den Einspruch der Landeswahlleitung. Überrascht ist der Linken-Politiker von dem Vorgang aber nicht. „Wir haben uns in den ersten Tagen nach der Wahl die Wahllokale genau angeschaut und dabei festgestellt, dass es fast überall im Bezirk teilweise zu massiven Abweichungen gekommen ist.“ Mit über 500 Stimmen besonders groß war die Differenz zwischen der Zahl der Wählenden und der abgegebenen Stimmen in den Wahlkreisen 1 und 6. Allerdings fiel im Gegensatz zum Marzahner Norden das Wahlergebnis in Hellersdorf-Süd und Kaulsdorf-Nord sehr eindeutig aus, sodass die Fehler als nicht mandatsrelevant erachtet werden können: Der CDU-Kandidat Alexander J. Herrmann holte hier 1.860 Stimmen mehr als der zweitplatzierte Kristian Ronneburg (Linke). 

 

Wahlkampf im Marzahner Norden geht womöglich in die Verlängerung

Gunnar Lindemann, der nun im Wahlkreis 1 doch noch mal um sein Direktmandat zittern muss, bezeichnet den Einspruch der Landeswahlleitung als „willkürlichen Akt“. Ihm seien keine relevanten Vorkommnisse bekannt und knappe Ergebnisse habe es auch andernorts gegeben, zum Beispiel im Wahlkreis 3 in Pankow. „Die Bürger in Marzahn-Nord haben mich und die AfD mehrheitlich gewählt. Ich vertraue den demokratischen Strukturen in den Wahllokalen und den Wahlhelfern“, bemerkt Lindemann.

 

„Wir sind natürlich daran interessiert, dass die Wahlen korrekt durchgeführt werden und bedauern es sehr, dass über 500 Menschen nicht die Chance hatten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen“, sagt Lindemanns Mitbewerber um das Direktmandat, Gordon Lemm. Sollte das Verfassungsgericht nach der Prüfung tatsächlich der Auffassung der Landeswahlleitung folgen und Neuwahlen im Wahlkreis 1 für verhältnismäßig erachten, müsse man „das respektieren und mit dem neuen Ergebnis umgehen.“ Er wünsche sich in jedem Fall schnelle Klarheit für alle Beteiligten, so Lemm.

 

Neuwahl könnte für Lemm zum „Luxusproblem“ werden

Ob Marzahn-Hellersdorfs Bezirksstadtrat für Schule, Sport, Jugend und Familie im Fall von Neuwahlen und einem Wahlerfolg überhaupt ins Abgeordnetenhaus einziehen würde, darf allerdings stark bezweifelt werden. Denn Gordon Lemm ist inzwischen heißer Anwärter auf den Chefsessel im Rathaus Helle Mitte. Seine SPD wurde bei der BVV-Wahl zweitstärkste Kraft hinter der CDU und hat genauso viele Sitze im Bezirksparlament wie die Union. Eine Zählgemeinschaft aus SPD, Linken, Grünen, Tierschutzpartei und/oder der FDP könnte den 44-jährigen Sozialdemokraten zum neuen Bezirksbürgermeister machen.

Sollte es dazu kommen, würde Lemm den Posten des Bezirkschefs einem Platz im Abgeordnetenhaus sicherlich vorziehen und auf ein mögliches Mandat verzichten. Nicht ausgeschlossen sind unter diesen Vorzeichen auch Wahlabsprachen: So könnten SPD oder andere Parteien ihren Anhängerinnen und Anhängern vorschlagen, Bjoern Tielebein von den Linken zu wählen, um das Direktmandat für den AfD-Politiker Gunnar Lindemann zu verhindern. Es bleibt in jedem Fall spannend.

 

Der Kandidat der Linken möchte sich zu solchen Gedankenspielen nicht äußern. „Wir warten ab, zu welchem Ergebnis der Verfassungsgerichtshof nach der Prüfung kommt.“ Sollte es tatsächlich eine Wahlwiederholung geben, werde er sich dem „natürlich stellen und alles hineinwerfen, um den Wahlkreis zu gewinnen und den Bezirk im Abgeordnetenhaus zu vertreten“, kündigt Bjoern Tielebein an. Seinen Fokus richtet er aktuell aber auf die Sondierungen mit den demokratischen Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung. „Das waren bislang alles sehr gute und angenehme Gespräche“, verrät er.