Erinnern an die Nacht der Schande

83. Jahrestag der Novemberpogrome: Stolpersteinspaziergang und Lesung

Erinnern an die Nacht der Schande

Vor 83 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, schlug die in Deutschland seit Jahren andauernde antisemitische Diskriminierung in blanke Gewalt um. Das NS-Regime ließ in einem zuvor sorgfältig vorbereiteten Pogrom jüdische Menschen von Schlägerbanden der SA und SS ermorden oder in den Tod treiben. Geschäfte wurden geplündert, Wohnungen verwüstet, Friedhöfe geschändet und Synagogen in Brand gesteckt. Damit dieses Verbrechen nicht in Vergessenheit gerät und um der Opfer des Nazi-Terrors zu gedenken, finden auch in Marzahn-Hellersdorf rund um das historische Datum wieder verschiedene Veranstaltungen statt.

Am Dienstag, dem 9. November, startet am S-Bahnhof Kaulsdorf um 16 Uhr ein Erinnerungsgang, bei dem die Teilnehmenden mehrere in Kaulsdorf und Mahlsdorf verlegte Stolpersteine von Straßenschmutz und Patina befreien und aufpolieren. Zu der Gedenktour durch Mahlsdorf und Kaulsdorf lädt die Linkspartei Marzahn-Hellersdorf ein. Sie soll an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus auch hier im Bezirk verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden. 

 

Lesung: „Adressat unbekannt“

Einen Tag später, am 10. November, lesen Sabine Schwarz und Marina Richter-Kastschajewa im Stadtteilzentrum an der Marzahner Promenade 38 aus dem Buch „Adressat unbekannt“. Der Roman der Schriftstellerin Kressmann Taylor wurde erstmals 1938 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um einen fiktiven Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem amerikanischen Juden in den Monaten um Hitlers Machtergreifung. Die Schreiben dokumentieren, wie das Gift des Nationalsozialismus eine Freundschaft zersetzt. „Adressat unbekannt“ sei ein „literarisches Meisterwerk von beklemmender Aktualität“, heißt es in der Ankündigung der Lesung. Beginn ist um 18 Uhr. 

 

Mahnmal von Unbekannten beschmiert

Das „Bündnis für Demokratie und Toleranz Marzahn-Hellersdorf“ ruft zur regen Teilnahme an beiden Veranstaltungen auf. In einer am Montag veröffentlichten Pressemitteilung verurteilen die Sprecher*innen Henny Engels und Steven Kelz gleichzeitig auch die am Wochenende entdeckte Farbattacke auf das Mahnmal am Standort des ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers Kaulsdorfer Straße in Biesdorf. Unbekannte hatten dort auf den Steinboden vor den Informationsstelen und an zwei Poller die Zahl 88 gesprüht. Sie steht in rechtsextremen Kreisen als Code für „Heil Hitler“. Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet.

 

Bündnis fordert: Erinnerung wach halten 

Weiter heißt es in der Pressemitteilung, auch die bereits seit Wochen anhaltenden Propagandaaktivitäten der nationalsozialistischen Kaderpartei der „III. Weg“ in Marzahn-Hellersdorf sowie ein extrem rechtes Rock-Konzert der AfD Brandenburg am 6. November in Hönow und eine in der vergangenen Woche zerstörte Gedenktafel für den von Neonazis in Hellersdorf ermordeten Ingo Binsch machten deutlich, wie verbreitet extrem rechtes Gedankengut nach wie vor ist. „Wir müssen uns als Zivilgesellschaft auch in Marzahn-Hellersdorf dafür engagieren, dass das Bewusstsein über die Verbrechen des Nationalsozialismus wachgehalten wird und sich ähnliches nie wiederholen darf“, fordert das Bündnis. 

 

Bürgermeister verlangt: Courage zeigen

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat vor dem Gedenken an die Novemberpogrome ein couragiertes Eintreten gegen Antisemitismus, gegen Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Neonazis verlangt. Der Alltag der jüdischen Gemeinschaft sei auch in Berlin gekennzeichnet durch regelmäßige Vorfälle, Angriffe und Schmähungen, sagte der SPD-Politiker am Montag. „Wir müssen deshalb jeder Form des Antisemitismus ein klares Stoppzeichen entgegensetzen. Berlin versteht sich als ‚Stadt der Freiheit, der Toleranz und der Weltoffenheit‘. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger diese Freiheit, Toleranz und Weltoffenheit leben und aktiv einfordern, werden sich Ereignisse wie die Novemberpogrome nicht wiederholen“, so Müller.