139 Kerzen für 139 getötete Frauen

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

139 Kerzen für 139 getötete Frauen

139 Frauen sind im vergangenen Jahr in Deutschland von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet worden. Aktivist*innen, Studierende, engagierte Bürger*innen und Vertreter*innen des Bezirksamts erinnerten am 25. November auf dem Alice-Salomon-Platz in Hellersdorf mit 139 brennenden Kerzen an diese sogenannten Femizide.

Alle zweieinhalb Tage stirbt eine Frau durch Beziehungsgewalt

Pünktlich zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen hat das Bundeskriminalamt neue Zahlen zu Beziehungsgewalt in Deutschland vorgelegt. Laut Statistik stieg die Zahl der angezeigten Fälle im Jahr 2020 um 4,9 Prozent. Die Straftaten reichten vom Stalking über Freiheitsberaubung und Körperverletzung bis hin zu Vergewaltigung. 169 Mal nahmen die Taten ein tödliches Ende. Der überwiegende Teil der Opfer waren Frauen. Im Jahr zuvor hatte das BKA 149 Beziehungsmorde als solche erfasst. Davon wurden 117 an Frauen und 32 an Männern begangen. 

 

Ein Thema, das ins öffentliche Bewusstsein gehört

Nach wie vor ist vielen Menschen nicht bewusst, wie erschreckend oft Frauen von Männern aus ihrem engsten Umfeld schweres psychisches und/oder körperliches Leid zugefügt wird. Der Arbeitskreis Marzahn-Hellersdorf gegen häusliche Gewalt engagiert sich seit vielen Jahren gemeinsam mit verschiedenen Partner*innen dafür, das Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. In diesem Jahr wurde am 25. November gemeinsam mit der Alice-Salomon-Hochschule eine Kundgebung in Helle Mitte veranstaltet. Neben einem Informationsstand mit unterschiedlichen Materialien und Give-aways gab es mehrere Redebeiträge. Außerdem brannten auf dem Alice-Salomon-Platz zahlreiche Kerzen. Jede einzelne stand symbolisch für eine von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebrachte Frau.

 

Ein gesamtgesellschaftliches Problem

Zudem hisste Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) mit anderen Engagierten an dem auch als „Orange Day“ bezeichneten Tag gegen Gewalt an Frauen vor der Hochschule die orangefarbene Fahne „Gewaltfrei leben – Nein zu Gewalt an Frauen“. Witt betonte, dass häusliche Gewalt Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten betreffe und „sowohl in der Großsiedlung als auch im Siedlungsgebiet hinter den festen Mauern eines Einfamilienhauses“ vorkomme. Außerdem verwies sie auf die schwierige Situation von betroffenen Frauen in der Pandemie. Gerade während der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen und in beengten Wohnverhältnissen dürfte sich diese noch verschärft haben. Die Stadträtin lobte vor diesem Hintergrund die Arbeit von Frauenprojekten und Beratungsstellen im Bezirk. Den Akteur*innen gebühre Respekt, Anerkennung und ein Dankeschön. Sie werde sich dafür einsetzen, versprach Juliane Witt, dass an Projekten und Einrichtungen, die Frauen Beratung und Schutz zukommen lassen, nicht gespart werde.

 

Mittelkürzungen für feministisch Projekte: ein Schlag ins Gesicht

Anni Jarzembowski vom Frauenzentrum Matilde nahm den Ball auf. Sie brachte ihr Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass fast allen feministischen Projekten in der Stadt vom Senat Kürzungen für das Haushaltsjahr 2022/23 angedroht wurden. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für von Gewalt betroffene Frauen, deren Kinder und für all jene, die diese durch ihre Arbeit unterstützen“, beklagte die Sozialarbeiterin. Während der Corona-Pandemie und der Lockdowns seien es vor allem die Mitarbeiter*innen der Beratungsstellen, der Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen gewesen, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht hätten, Frauen unter den schwierigen Bedingungen Schutz und Unterstützung zu ermöglichen. „Der Dank dafür sind finanzielle Kürzungen.“ Einmal mehr zeige sich, dass den Themen häusliche Gewalt und Ungleichbehandlung von Frauen weiterhin nicht genug politische Aufmerksamkeit geschenkt werde, erklärte Jarzembowski und forderte eine dauerhafte Finanzierung von Unterstützungsprojekten. 

 

Länger in toxischen Beziehungen wegen Wohnungsmangel

Die Koordinatorin der Netzwerkarbeit für Alleinerziehende im Bezirk, Manja Finnberg, verwies in ihrer Rede auch darauf, dass es bei der Prävention von häuslicher Gewalt neben Beratungsstellen und Projekten zwingend ausreichend bezahlbaren Wohnraum brauche, der es ermögliche, aus toxischen Beziehungen zu entkommen. Aufgrund der angespannten Wohnungsmarktsituation sähen sich Frauen mitunter gezwungen, länger in einem häuslichen Umfeld zu bleiben, in dem es ihnen nicht gut gehe. Das Risiko für Eskalationen steige dadurch.

 

Dunkelziffer ist hoch

Wie viele Frauen tatsächlich von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, kann indes niemand genau sagen. In die BKA-Statistik fließen nur die zur Anzeige gebrachten Fälle ein. Auch darauf will der Tag gegen Gewalt an Frauen aufmerksam machen. Die Gründe, warum Frauen sich niemandem anvertrauen, sind vielfältig. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt etwa seien häufig mit Gefühlen von Scham, Hilflosigkeit, Überforderung und Angst verbunden, sagte die stellvertretende Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der Alice-Salomon-Hochschule, Simone Wibbeke. „Oft fühlen sich die Betroffenen mit ihren Erfahrungen allein gelassen. Sie leiden unter Schlaf- und Konzentrationsproblemen, Angstzuständen, Motivationsverlust und psychischen Erkrankungen.“ Nicht wenige würden die Schuld bei sich selbst suchen, statt die Verantwortung bei der gewaltvollen und diskriminierenden Person zu sehen. Andere haben Angst, ihnen könnte nicht geglaubt werden oder sie befürchten negative Konsequenzen für ihre Zukunft.

 

Der Weg hin zu einer Gesellschaft, die sich patriarchaler Gewalt entschieden entgegenstellt, diese verurteilt und die betroffenen Frauen unterstützt, zu einer Gesellschaft, in der es keine Frauenhäuser und keine Zufluchtshäuser mehr brauche, sei noch weit, erklärte Anni Jarzembowski. „Aber wir dürfen nicht aufhören zu kämpfen, bis wir diese Ziele erreicht haben.“