Heimatverein zeigt sich trotz Corona rührig

Vorstand nutzte Jahrespressekonferenz zum umfangreichen Rück- und Ausblick

Heimatverein zeigt sich trotz Corona rührig

Wolfgang Brauer und Dr. Christa Hübner nach dem Pressegespräch des Heimatvereins im KulturGut Marzahn
Wolfgang Brauer und Dr. Christa Hübner nach dem Pressegespräch des Heimatvereins im KulturGut Marzahn

Im Dezember jährt sich die urkundliche Ersterwähnung Kaulsdorfs zum 675. Mal. Doch Feierlaune? Fehlanzeige – was nur bedingt mit der Pandemie und dem aktuellen Weltgeschehen zu tun hat. Vielmehr scheinen die Verantwortlichen im Bezirk das Ereignis nicht so recht auf dem Schirm zu haben – ganz zum Bedauern des Heimatvereins. Dort ist man weiterhin bemüht, die Aufmerksamkeit von Politik und Verwaltung etwas mehr auf die „Dörferjubiläen“ zu lenken, erklärte der Vorsitzende Wolfgang Brauer im März bei der Jahrespressekonferenz seines Vereins. Mit Mahlsdorf habe es 2020 leider nicht geklappt. Hinsichtlich Kaulsdorf blieben noch ein paar Tage Zeit „und für Biesdorf verlässt uns nicht die Hoffnung“, so Brauer. 

Geschichtstagung gut besucht

Dabei rührt der Heimatverein schon eine ganze Weile die Werbetrommel. Im Vorgriff auf das Kaulsdorf-Jubiläum hatten die Lokalhistorikerinnen und -historiker im vergangenen Oktober ihren traditionellen Tag der Regional- und Heimatgeschichte komplett dem Ortsteil gewidmet. Die Konferenz wurde gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemeinde Kaulsdorf in der Jesuskirche veranstaltet und war mit 68 Teilnehmenden gut besucht. Zeitlich spannten die Referentinnen und Referenten einen Bogen von der Gründungsgeschichte bis in die Gegenwart. Gesprochen wurde über Kirchen und Gaststätten, die Entwicklung der pulsierenden Kaulsdorfer Mitte rund um den Mädewalder Weg, die 1970er Jahre in der DDR und über den Bildhauer Hans Füssel, der 1949 mit dem Abriss des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals an der Berliner Schlossfreiheit beauftragt worden war. 

 

Neues Jahrbuch ab sofort erhältlich

Die insgesamt sechs Vorträge sind nun verschriftlicht und ab sofort für alle nachzulesen. Sie bilden den inhaltlichen Schwerpunkt des neuen „Historischen Jahrbuches Marzahn-Hellersdorf 2021“, das für 10 Euro im Bezirksmuseum und im lokalen Buchhandel erhältlich ist. Wer in der 180 Seiten dicken Publikation schmökert, entdeckt aber noch weitere Beiträge – etwa zur Geschichte der Biesdorfer Kinos. Zudem hat die Autorin Erika Rossner für das Buch die Mahlsdorfer Illustratorin Ingeborg Meyer-Rey (1920-2001) porträtiert. Laut der stellvertretenden Vorsitzenden des Heimatvereins, Dr. Christa Hübner, ist es der erste größere je erschienene Beitrag über das Leben der „Bummi“-Schöpferin. 

 

Ebenfalls im Jahrbuch enthalten sind Biografien von Kurt Schwaen (1909-2007, Komponist), Peter Edel (1921-1983, Grafiker und Schriftsteller) und Lampert Distelmeyer (1522-1588, Kanzler der Mark Brandenburg und Mahlsdorfer Dorfherr). Anknüpfend an die vorherigen Ausgaben wurde auch die Jahreschronik fortgeschrieben. Sie beginnt am Neujahrstag 2020 mit dem schweren Brand am Blockhaus „Sunshine“ in Marzahn-Nord und endet am 31. Dezember 2020 mit dem Auslaufen der Quartiersmanagements in Marzahn-NordWest und in der Mehrower Allee. Zwischen diesen Ereignissen spiegele die Chronik sehr deutlich wider, wie sehr das Leben im Bezirk von Corona geprägt war“, bemerkte Dr. Christa Hübner bei der Vorstellung des Buches.

 

Neuerscheinung: Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2021
Neuerscheinung: Historisches Jahrbuch Marzahn-Hellersdorf 2021

 

Neues Jahr, volles Programm

Auch auf die Aktivitäten des Heimatvereins hat sich die Pandemie stark ausgewirkt. Allein im vergangenen Jahr fielen mehrere Exkursionen und Veranstaltungen Corona zum Opfer. Besonders bitter: die erneute Absage des beliebten Alt-Kaulsdorfer Weihnachtsmarktes. „Wir gehen davon aus, dass wir ihn in diesem Jahr am 3. Dezember durchführen können“, gibt sich Wolfgang Brauer optimistisch. Vorher aber stehen einige Ausflüge für Vereinsmitglieder und alle anderen Interessierten auf dem Programm: Am 18. Juni geht es nach Brandenburg an der Havel, am 17. September zum Zisterzienserinnenkloster Altfriedland und am 29. Oktober ist geplant, „eine der Wiegen der optischen Industrien Deutschlands“ zu erkunden: Rathenow. Darüber hinaus sind die Vorbereitungen für den nächsten Tag der Regional- und Heimatgeschichte am 14. Oktober angelaufen.

 

Ein Museum, das immer dann schließt, wenn die Leute es besuchen können

Ansonsten gibt es auch noch eine ganze Reihe von Themen, die die Vereinsmitglieder umtreiben. Zu den Sorgenkindern gehört seit Jahren schon das personell mit Sparflamme betriebene Bezirksmuseum. Wolfgang Brauer zufolge ist es berlinweit das einzige Heimatmuseum ohne reguläre Planstelle für die Sammlungspflege und Archivarbeit. Aktuell kümmern sich mit Dorothee Ifland und Iris Krömling lediglich zwei feste Mitarbeiterinnen um beide Häuser in Alt-Marzahn 51 und 55. Umso beachtlicher ist es, was die zwei ambitionierten Frauen mit Unterstützung einiger engagierter Geschichtsinteressierter regelmäßig auf die Beine stellen. Ärgerlich nur, dass das Bezirksmuseum immer dann schließt, wenn die Leute Zeit haben, hinzugehen: am Wochenende. Über die besucherunfreundlichen Öffnungszeiten kann Brauer nur den Kopf schütteln: „Was da an Ausstellungen gezeigt wird, sind zum Teil regionalhistorische Perlen“ und Schmuck sei dazu da, gezeigt zu werden.

 

Ein Besuch im Bezirksmuseum lohnt sich. Leider ist hier am Wochenende kein Reinkommen.
Ein Besuch im Bezirksmuseum lohnt sich. Leider ist hier am Wochenende kein Reinkommen.

 

Schwaens Archiv und Schottstädts Grab

Im bevorstehenden Ausbau des KulturGutes sieht der Heimatverein eine Chance, die unsichere Perspektive des Kurt-Schwaen-Archivs zu lösen (wir berichteten). Und auch der Erhalt der Grabstätte Bruno Schottstädts (1927-2000) liegt den Mitgliedern am Herzen. Der ehemalige Marzahner Pfarrer war Mitinitiator der Gedenkstätte Zwangslager Marzahn und Mitbegründer des hiesigen ökumenischen Forums. Rund um Schottstädts letzte Ruhestätte werden die Gräber inzwischen abgeräumt. Seines ist noch erhalten, weil Ehefrau Ruth, die dort ebenfalls liegt, erst 2012 starb. „Es gibt etliche gute Gründe, diese Grabanlage in die Obhut des Bezirks zu nehmen“, meint Wolfgang Brauer.

 

Diskussion um Straßennamen

Ein kleines Aufregerthema ist für den Heimatverein das im Dezember 2021 veröffentlichte Gutachten des Politologen Dr. Felix Sassmannshausen zu Berliner Platz- und Straßennamen mit antisemitischen Bezügen. Die Erkenntnisse aus dem Dossier haben die FDP dazu angeregt, in der BVV die Namensänderung zweier Mahlsdorfer Straßen zu beantragen. 

Bei der nach dem Finanzpolitiker und Reichsstaatssekretär Siegfried Friedrich Wilhelm Erdmann Graf von Roedern (1870-1954) benannten Roedernstraße sehen auch Brauer und seine Mitstreitenden Änderungsbedarf. Zwar habe sich Roedern, ein „stinkkonservativer Mensch“, erhebliche Verdienste um die kommunale Infrastruktur erworben, so Brauer, aber „leider hat er sich zum Ende seines Lebens hinreißen lassen, aktiv bei den Nazis mitzumischen“. Später wurde der ehemalige Landrat des Kreises Niederbarnim sogar Ehrenmitglied der SS.

 

Etwas unglücklich findet der Heimatverein allerdings den Vorschlag der Freien Demokraten, die Roedernstraße nach der Feministin Gertrud Bäumer (1873-1954) zu benennen. „Da kommt man dann tatsächlich vom Regen in die Traufe“, so Brauer. Schließlich sei Bäumer in der Frauenbewegung aufgrund ihrer Position zum Nationalsozialismus nicht ganz unumstritten gewesen. Außerdem existiere im Bezirk bereits eine von der BVV beschlossene Vorschlagsliste mit bekannten Frauennamen für künftige Straßenbenennungen. Diese sollten die Bezirksverordneten auch ernst nehmen. Für eine Würdigung in Mahlsdorf etwa böte sich die weitgehend vergessene Journalistin, Sozialdemokratin und Arbeiterschriftstellerin Emma Klara Döltz (1866-1950) an.

 

Nicht „mit dem Radiergummi quer durch Berlin gehen“

Im Falle der Arndtstraße hält Brauer historische Aufklärung und Diskussion für angeraten, wohingegen Sassmannshausen in seiner Ausarbeitung eine direkte Umbenennung empfiehlt. Er bezeichnet den Schriftsteller und Historiker Ernst Moritz Arndt (1769-1860) als Antisemiten und Vertreter eines aggressiven Nationalismus. Der Vorsitzende des Heimatvereins sagt, Arndt sei eine ambivalente Person gewesen. Viele Historikerinnen und Historiker sehen in ihm eben nicht nur den Franzosenhasser und Judenfeind, sondern auch den Reformer und demokratischen Vordenker. Statt „mit dem Radiergummi quer durch Berlin“ zu gehen, spricht sich Wolfgang Brauer für eine kritische Auseinandersetzung mit ähnlich widersprüchlichen Persönlichkeiten wie Arndt aus. „Wir sind der Meinung, dass ein generelles Wegräumen von Persönlichkeiten aus der Zeit um 1800, also der Zeit der Antinapoleonischen Kriege, hochproblematisch ist.“ Bestimmte Äußerungen in Schriften sollten immer auch im zeitlichen Kontext gesehen werden. Heißt: kritisch-reflektierte Erinnerungskultur statt Tabula rasa. 

 

Die FDP empfiehlt, die Arndtstraße nach Hannah Arendt zu benennen – nicht zuletzt wegen der „phonetischen Ähnlichkeit“, wie es im Antrag heißt. Nur weil beide Nachnamen ähnlich klingen, sei das noch längst kein geeigneter Vorschlag für eine Umbenennung, entgegnet Brauer. 

Neben der Arndt- und Roedernstraße listet Dr. Felix Sassmannshausen in seinem Papier übrigens weitere 14 Marzahn-Hellersdorfer Straßennamen und -plätze mit antisemitischen Bezügen auf: den Cecilienplatz, die Cecilienstraße, die Eitelstraße, die Fritz-Reuter-Straße, die Herderstraße, die Jahnstraße, die Lohengrinstraße, die Lutherstraße, die Melanchthonstraße, die Pestalozzistraße, die Roseggerstraße, die Strindbergstraße, die Sudermannstraße und die Waldowstraße.