Bodo Müller: der Arzt in Kaulsdorf, dem die Frauen vertrauen

Verabschiedung vom langjährigen Chef der Gynäkologie und Geburtsmedizin

Bodo Müller: der Arzt in Kaulsdorf, dem die Frauen vertrauen

Mit dem Krankenhaus Kaulsdorf verbinden Menschen in Marzahn-Hellersdorf vor allem eines: neues Leben. Weit über 20.000 Babys sind hier allein in der Ära von Dr. Bodo Müller zur Welt gekommen. Das reicht, um eine komplette Kleinstadt zu bewohnen. „In meinem Job überwiegen eindeutig die Erfolgserlebnisse“, sagt der Chefarzt über die täglichen Wunder im Kreißsaal und die Arbeit in der Gynäkologie. Nun, nach 22 Jahren, in denen er die Frauenklinik am Standort geleitet und gemeinsam mit seinem Team vorangebracht hat, ist Schluss. Der (Un-)Ruhestand ruft. 

■ Als Sie im Jahr 2000 aus Friedrichshain nach Kaulsdorf gewechselt sind, war die Geburtshilfe in zwei Baracken aus den 40er Jahren und einem nachträglich angebauten Verbindungstrakt untergebracht. Haben die räumlichen Bedingungen Sie gar nicht abgeschreckt?

Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Die Decken waren so niedrig, dass ich mit meinen 1,90 Metern nicht durch die Räume gehen konnte, ohne mich zu ducken. Mir war klar: Mit dieser „Hardware“ können wir bei den Patientinnen nicht sonderlich punkten. Deshalb müssen wir umso mehr mit guter Medizin und Pflege überzeugen. Die Schwestern der Gynäkologie haben das hervorragend verinnerlicht. Auf sie ist Verlass. Die denken mit und übernehmen Verantwortung. Außerdem sind sie den Patientinnen zugewandt und einfühlsam, was bei so intimen Angelegenheiten wie gynäkologischen Erkrankungen unerlässlich ist. 

 

■ Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, nach Kaulsdorf zu gehen?

Ich wurde selbst hier 1956 geboren und meine Eltern wohnten in Mahlsdorf. Irgendwann zog es mich zurück zu den Wurzeln. Auch ich wollte in Mahlsdorf wohnen. Kurz nach der Wende bin ich regelmäßig sonnabend- und sonntagmorgens nach Westberlin gefahren, um in der erstbesten Telefonzelle die entsprechenden Immobilienannoncen abzutelefonieren. 1995 hatten wir dann endlich unser Haus gefunden. Mein Arbeitsweg in den Friedrichshain stellte sich allerdings als ziemlich nervig heraus. Das war vertane Lebenszeit. Meistens ging der Stau auf der B1 in Höhe des Kaulsdorfer Krankenhauses los. Da dachte ich mir so: „Jetzt rechts abbiegen und du wärst schon da.“ 

 

■ Was hat sich unter Ihrer Ägide in der Frauenklinik getan?

Wir sind ein echtes Team geworden: Ärztinnen und Ärzte, Schwestern, Hebammen. In der Gynäkologie wurden neue Operationsmethoden etabliert, zum Beispiel auf dem Gebiet der minimalinvasiven Chirurgie. Seit zehn Jahren ist die Klinik auch Mitglied im Onkologischen Zentrum Mitte, was uns in die Lage versetzt, Patientinnen immer die bestmögliche Krebstherapie zukommen zu lassen. Außerdem haben wir die Urogynäkologie als Teil unseres Fachgebietes ausgebaut. 

Für die Geburtshilfe war die abgeschlossene Modernisierung von Haus 6 im Jahr 2005 ein Meilenstein. Wir konnten dadurch den familienorientierten Ansatz stärken und ausbauen. Seither haben in Kaulsdorf Jahr für Jahr über 1.000 Kinder das Licht der Welt erblickt. 

 

■ Sind Sie lieber Geburtshelfer oder Chirurg?

Die onkologische Chirurgie lag mir immer besonders am Herzen, denn die Operationen sind ein enorm wichtiger prognostischer Faktor für die Patientinnen. Von der operativen Erstversorgung einer Krebspatientin hängt der Therapieerfolg maßgeblich ab, deswegen habe ich mich da immer voll reingekniet. 

 

■ Wollten Sie auch schon immer Frauenarzt werden?

Ich habe in St. Petersburg Medizin studiert und fand anfangs Anästhesie als Fachgebiet total spannend. Dann lernte ich ein paar Leute kennen, die meine Begeisterung für Geburtshilfe und Gynäkologie weckten. Wir betreuen ja Frauen in allen Lebensphasen von der Schwangerschaft bis zum Tod. Das finde ich sehr reizvoll. Hinzukommt, dass eine große Gruppe unserer Patientinnen überhaupt nicht krank ist, sondern nur in besonderen Umständen. Das heißt: In meinem Job überwiegen eindeutig die Erfolgserlebnisse. 

 

■ Aber nicht jede Behandlung, nicht jeder Eingriff geht gut aus. Stumpft man mit der Zeit ab, wenn Patientinnen sterben?  

Nein, mir ging es nie so. Vor allem wenn Todesfälle unerwartet kommen, braucht es Zeit, alles zu verarbeiten. Ich erinnere mich noch sehr genau an einen Fall aus Friedrichshainer Zeiten. Die Patientin war nach einer vaginalen Routine-Operation auf der Intensivstation gelandet und nicht mehr aufgewacht. Als ich davon erfuhr, habe ich mich natürlich gleich gefragt, was schiefgelaufen ist und bin die Behandlungsschritte noch einmal durchgegangen. 

 

■ Was ist herausgekommen?

Das Ganze blieb rätselhaft. Ich rief die niedergelassene Ärztin an. Sie erzählte mir völlig geplättet, dass ihre Patientin schon mit einem total unguten Gefühl ins Krankenhaus gegangen war. Die Frau hatte wirklich Todesangst und ist gestorben. Es war kein Herzinfarkt und kein OP-Fehler. Das klingt ein bisschen mystisch, aber manchmal spüren Patientinnen und Patienten tatsächlich Dinge, die wir mit unserer hochmodernen Medizin nicht erkennen können. 

 

■ Sie haben stets eine enge Zusammenarbeit mit Ihren niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gepflegt. Warum war Ihnen das wichtig?

Ich fand die strenge Sektorenunterteilung zwischen ambulant und stationär nie besonders zielführend. Inzwischen hat man ja auch in der Bundesrepublik erkannt, dass eine engere Zusammenarbeit und Verzahnung besser funktioniert. Die heutigen Medizinischen Versorgungszentren sind ein Ausdruck dessen. Sie stehen in der Tradition der ostdeutschen Polikliniken, die nach der Wende erst einmal alle plattgemacht wurden, um sie Jahre später wieder neu zu erfinden. Noch bevor ich Chefarzt in Kaulsdorf wurde, bin ich hier im Bezirk zu den Stammtischen der niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen gegangen. Dadurch ist ein sehr gutes, mitunter fast schon freundschaftliches Verhältnis entstanden. Ich denke, von dem Austausch konnten beide Seiten über die Jahre profitieren. Die Kolleginnen und Kollegen haben mir Ende März in der Gaststätte „Zum Oberfeld“ eine sehr rührende Verabschiedung bereitet.

 

■ Was hat Sie dazu motiviert, von 2014 bis 2016 einen zweiten Hochschulabschluss zu machen?

Im Krankenhausalltag muss man sich als Chefarzt zunehmend mit ökonomischen Fragen auseinandersetzen. Das berufsbegleitende Masterstudium „Krankenhausmanagement“ hat mir dabei geholfen, Ansätze zu finden, wie sich eine Klinik trotz des engen Korsetts der äußeren Zwänge besser leiten lässt. Der Gestaltungsspielraum ist zugegeben gering, aber es gibt ein paar Stellschrauben. Das fängt bei einem intelligenten Personalmanagement an. Krankenstand und fehlende Gesprächskultur sind Zeichen von schlechter Führung. Daran lässt sich arbeiten und das kostet nicht einmal Geld, sondern nur ein bisschen Wissen und Wollen. Und es ist immens wichtig, medizinische Sachverhalte in die Entscheidungen der Krankenhausleitung einzubringen. Das habe ich als stellvetretender ärztlicher Direktor des Klinikums Kaulsdorf fast zehn Jahre lang gemacht.

 

■ Wird Ihnen die Arbeit trotz der ökonomischen Zwänge fehlen?

Aber sicher, schließlich standen die Patientinnen für mich immer an erster Stelle. Ich gehe der Medizin aber auch nicht ganz verloren und werde mich weiter um den Ärztenachwuchs kümmern. Nur wo das sein wird, verrate ich noch nicht. Es gibt genug Krankenhäuser im Umfeld, in denen junge Ärztinnen und Ärzte mit ungenügender operativer Ausbildung landen. Ich habe große Lust darauf, sie für den OP-Saal fit zu machen. Unsere Ausbildungsassistentinnen und -assistenten in Kaulsdorf sind immer mit einem langen Katalog selbstständig durchgeführter Eingriffe zur Facharztprüfung gegangen. So viel Erfahrung konnten nur wenige andere nachweisen. Zwar ist es Stress, Neulinge eigenständig operieren zu lassen, aber es hat mir immer auch Spaß gemacht, mein Wissen weiterzugeben. 

 

■ Ihre Kolleginnen und Kollegen behaupten, Sie seien auch ein ganz passabler Koch. Bleibt jetzt mehr Zeit für das Hobby?

Die Zeit habe ich mir vorher auch schon genommen – selbst als ich in Friedrichshain noch 24-Stunden-Dienste geschoben habe. Wenn ich nach Hause gekommen bin, guckten mich meine beiden Töchter oft mit großen Augen an und wollten wissen, was es zu essen gibt. Kochen ist für mich Entspannung. Nach einem stressigen Arbeitstag konnte ich dabei immer gut abschalten und runterkommen.