Über 200 Tage im Amt: Fragestunden mit dem Bezirksbürgermeister

Gordon Lemm stand bei verschiedenen Dialogveranstaltungen Rede und Antwort

Über 200 Tage im Amt: Fragestunden mit dem Bezirksbürgermeister

Seit über 200 Tagen ist Gordon Lemm (SPD) Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf. In den vergangenen Wochen hatte der 44-Jährige mehrfach Gelegenheit, bei Dialogveranstaltungen über kommunalpolitische Themen, seine Herzensprojekte, Ziele und Herausforderungen für den Bezirk zu sprechen. Beim Austausch mit den Freunden Schloss Biesdorf und beim politischen Frühschoppen mit Petra Pau und dem linksnahen Unternehmerverband OWUS ging es unter anderem um die Unterbringung von Geflüchteten, den Fachkräftemangel, um Behörden-Pingpong, die Zusammenarbeit mit den Brandenburger Nachbargemeinden und um diese Themen hier:

Theater am Park

Das Theater am Park, einst Probenhaus der Nationalen Volksarmee (NVA), ist ein „Kulturschatz“, wie Gordon Lemm betonte. Das Haus gehört aber gleichzeitig auch zu den größten Sorgenkindern des Bezirks, denn es ist hochgradig sanierungsbedürftig. Manche Bereiche, darunter der große Saal, sind schon seit Jahren gesperrt. Das Land Berlin hat zwar GRW-Fördermittel in Höhe von rund zehn Millionen Euro zugesagt, um das TaP wieder auf Vordermann zu bringen, doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Es gebe verschiedene Schätzungen zu den Sanierungskosten, so Lemm. Er rechne aber damit, dass 20 Millionen Euro benötigt werden. „Und da wird’s problematisch. Ich kann im Land Berlin nicht eine Baumaßnahme beginnen, wenn ich keine ausreichende Finanzierung habe“, erläuterte er. Die Sanierung auf den Weg zu bringen, werde in den nächsten viereinhalb Jahren auf jeden Fall „ein heißer Ritt“. 

 

CleanTech Business Park

Im 90 Hektar großen CleanTech Business Park herrscht noch immer gähnende Leere. Bislang hat sich dort nur ein Unternehmen angesiedelt: die Swissbit AG, ein Hersteller von Industrie-Speichermedien. Wie seine Vorgängerin Nadja Zivkovic (CDU) muss sich auch Gordon Lemm als neuer Wirtschaftsstadtrat in aller Regelmäßigkeit Fragen nach den ausbleibenden Erfolgsmeldungen gefallen lassen. An Anfragen mangele es nach wie vor nicht, stellte Lemm klar, aber man müsse wählerisch sein. Für das Areal werden eben keine Logistikunternehmen oder Internetriesen gesucht, die dort ihre Lagerhallen oder Rechenzentren aufstellen, sondern zukunftsorientierte produzierende und verarbeitende Unternehmen, die für saubere Technologien und Nachhaltigkeit stehen.

Immerhin soll die für die Flächenvermarktung zuständige Wista Management GmbH nun mit drei Unternehmen konkrete Vertragsverhandlungen führen. Bekannt ist, dass ein internationales Konsortium rund um die Berliner Firma BAE Batterien an der Bitterfelder Straße eine Salzbatteriefabrik errichten lassen will, um am Standort stationäre Energiespeicher herzustellen. Bei den anderen beiden Ansiedlungskandidaten handele es sich um Technologiefirmen aus dem Bioengineering-Bereich, berichtete der Bezirksbürgermeister mit. 

 

Wohnungsbau

Die Nachverdichtung wird in Marzahn-Hellersdorf zum Schreckgespenst und auch Gordon Lemm übt Kritik am Ausmaß der Wohnungsbauvorhaben im Bezirk. Es stehe außer Frage, dass Berlin mehr Wohnungen brauche und es hier noch vergleichsweise viele unbebaute Flächen gebe, „aber die DDR-Architektinnen und -Architekten haben sich bei ihrer Bauweise etwas gedacht und wenn Lücken wie die grünen Innenhöfe gelassen wurden, hat das natürlich einen gewissen Sinn und auch eine gewisse Wohnqualität.“ Die Probleme der restlichen Stadt dürften nicht nur von einigen wenigen Bezirken geschultert werden und zu Lasten der Menschen gehen, die hier schon wohnen“, findet der Bezirksbürgermeister. Seine Forderung an das Land lautet: „Wenn wir in Sachen Wohnungsbau schon so viel für die Stadt leisten, dann möge uns das Land Berlin bitte auch unterstützen und uns adäquat in sozialer Infrastruktur, Sport und Kultur ausstatten.“

 

Verkehr

Der Bezirk hat die neue Verkehrssenatorin Bettina Jarasch für Anfang Juli eingeladen, um mit ihr vor Ort die größten Infrastrukturprojekte zu besprechen. „Wir brauchen endlich verlässliche Zeitschienen und werden da mit dem Senat auch nicht auf Kuschelkurs gehen“, machte Lemm deutlich. Gerade die Tangentialverbindung Ost sei für den Wirtschaftsstandort Marzahn-Hellersdorf unerlässlich. Nach der Ortsumfahrung Ahrensfelde befragt, äußerte sich der Bezirksbürgermeister ziemlich pessimistisch. Er sehe nicht, dass in den nächsten zehn Jahre eine Lösung herbeigeführt werde, lasse sich aber gern eines Besseren belehren. 

 

Eines treibt vielen Menschen, die mit dem Auto unterwegs sind, jetzt schon die Schweißperlen auf die Stirn: Wenn parallel zum Umbau des Marzahner Knotens an der Großkreuzung Märkische Allee/Landsberger Allee ab 2024 auch der TVO-Lückenschluss an der Märkischen Allee/B1 beginnt, ist ein Verkehrskollaps vorprogrammiert. Lemm teilt diese Sorge. Die für Straßen zuständige Stadträtin Juliane Witt (Linke) habe das auf dem Schirm und werde es beim Treffen mit Jarasch thematisieren. „Es geht nicht, dass diese beiden Magistralen, Landsberger Allee und B1, gleichzeitig blockiert sind. Das wäre sonst ein Scheitern mit Ansage. Wir brauchen da eine kluge Form des Übergangs.“

 

Städtepartnerschaften

Marzahn-Hellersdorf unterhält Städtepartnerschaften nach Budapest, Lauingen, Hanoi, Tychy, Halton und Minsk. Letztere war auch schon vor dem von Belarus unterstützten russischen Krieg in der Ukraine ziemlich eingefroren. Da offenbar auf beiden Seiten keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit gesehen werde, hat das Bezirksamt entschieden, die Beziehung ganz offiziell zu beenden. Er wäre offen für neue Städtepartnerschaften, vielleicht auch in Richtung Ukraine, sagte Lemm. 

 

Freibad

Ein Herzensprojekt des Bürgermeisters ist und bleibt das Freibad. Als Sportstadtrat hatte er das Vorhaben in der vergangenen Legislaturperiode angeschoben. Wie der aktuelle Stand ist, lesen Sie in unseren aktuellen Beitrag.

 

Image

Marzahn-Hellersdorf – „anders als erwartet“ oder „Berlins beste Aussichten“: Mit solchen Claims hat der Bezirk in der Vergangenheit häufig geworben. Ob es etwas gebracht hat, um das Image von Marzahn-Hellersdorf zurechtzurücken, bezweifelt Gordon Lemm. Die Reaktionen, die viele ernten, wenn sie sich „outen“, aus Marzahn-Hellersdorf zu kommen, hat er selbst erfahren. Lemm ist in der Marzahner Platte aufgewachsen und kennt das Gefühl, sich wegen der eigenen Herkunft irgendwie rechtfertigen zu müssen. Und es nervt ihn, dass dem Bezirk die Negativschlagzeilen aus den 1990er Jahren bis heute nachhängen. Die Vorurteile seien nicht nur bedauerlich und ungerecht, sie schaden auch. Als Beispiel führte der Bürgermeister Nachteile beim Fachkräfte-Recruiting an. „Es ist wirklich so, dass Lehrkräfte, die aus anderen Bundesländern nach Berlin kommen, überall hinwollen, aber bitte nicht nach Marzahn-Hellersdorf.“ 

 

Ihm sei bewusst, dass ein Imagewandel nicht von heute auf morgen passiere, aber er wolle das Thema angehen. Das Standortmarketing habe in den letzten Jahren schon viele gute Kampagnen auf den Weg gebracht. Daran lasse sich anknüpfen. Nach konkreten „Werbemaßnahmen“ befragt, kündigte Lemm an, die Öffentlichkeitsarbeit verbessern zu wollen. Er bemängelte die völlig unterbesetzte Pressestelle und dass der Bezirk weder über einen anständigen Twitter-Kanal verfüge noch bei Facebook aktiv sei. „Wir müssen in die Briefkästen, wir müssen in die Social-Media-Kanäle, wir müssen in die Zeitungen.“ Es gehe darum, transparent darzustellen, was Verwaltung mache, und Positivmeldungen, Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten in die Breite zu tragen. 

 

Eine von vielen imagefördernden Ideen sei es, Eheschließungen im Schloss Biesdorf zu ermöglichen. „Wenn Paare sich vor dieser unglaublichen Kulisse das Ja-Wort geben, ist das etwas, das andere Menschen nicht unbedingt mit Marzahn-Hellersdorf assoziieren. Das hätte eine sehr große Symbolwirkung“, ist sich der SPD-Politiker sicher. 

Außerdem möchte er kleine öffentlichkeitswirksame Highlights setzen. Sein Vorvorgänger Stefan Komoß habe einst Cindy aus Marzahn zu einem geführten Spaziergang durch den Bezirk eingeladen. Die Komikerin ließ sich nie blicken. Gut vorstellbar, dass Lemm einen zweiten Anlauf nimmt. „So eine Aktion könnte schon was bringen“, sagt er. Es gehe ihm nicht darum, aus Marzahn-Hellersdorf einen hippen Bezirk zu machen. Realistischer sei das Image eines familienfreundlichen Bezirks. Zu seinem weit gefassten Familienbegriff zählten neben Eltern und Kindern unter anderem auch Senior:innen – genau genommen aber alle Menschen, „die einem am Herzen liegen“.