Um die Welt in Hellersdorf

Internationalität in der Architektur des Bezirks (Teil II)

Um die Welt in Hellersdorf

Vision für den Cecilienplatz von Anwohner:innen und John Thompson 1995
Vision für den Cecilienplatz von Anwohner:innen und John Thompson 1995

Nach dem Mauerfall bot sich Architekt:innen aus aller Welt die Chance, an der Neukonzeption bzw. weiteren Gestaltung des Wohnumfeldes der Großsiedlung Hellersdorf mitzuwirken.

Neben Bildenden Künstlern aus dem Baltikum und Architekten aus Belgien (Teil 1 siehe November-Ausgabe) hinterließen auch britische und brasilianische Architekten ihre Spuren in Hellersdorf. Sie verliehen dem Planungs-, Bau- und Erneuerungsprozess internationales Flair und trugen im Rahmen eines siedlungsübergreifenden Quartierskonzeptes zur Erhöhung des baukulturellen Wertes der Großsiedlung bei. Ihr Wirken zielte vor allem darauf ab, das Wohnen durch ästhetische und funktionale Änderungen attraktiver zu machen und so die Abwanderung der Mieter:innen zu verhindern. Zwei Quartiere bekannten im wahrsten Sinn des Wortes Farbe.

 

„Rotes Viertel“: very British

Am Cecilienplatz in Kaulsdorf-Nord plante der Londoner Architekt John Thomson gemeinsam mit Bewohner:innen 1995 die Umgestaltung. Er hatte zuvor schon in vielen Ländern das Prinzip des „Community Planning Verfahrens“ praktiziert, bei dem die Menschen aus der Nachbarschaft als Expert:innen „in eigener Sache“ in die Quartiersentwicklung eingebunden wurden. 

Vom 12. bis 16. Oktober 1995 führte die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) einen mehrtägigen Planungsworkshop mit Anwohner:innen, Gewerbetreibenden, Kommunalpolitiker:innen und Stadtplaner:innen, geleitet durch ein internationales Team um John Thompson, durch. Das Thema lautete: Wie kann der von rund 3.700 Wohnungen umgebene Cecilienplatz als wichtiges Verkehrs- und Versorgungszentrum verbessert werden? 

 

 


John Thompson

Architekt und Stadtplaner

 

Der nachdenkliche und charismatische Brite (1944-2022) konnte auf eine über 50-jährige Karriere zurückblicken und verfügte über eine umfangreiche internationale Erfahrung insbesondere im Bereich der Stadterneuerung. Zeit seines Lebens setzte er sich leidenschaftlich für die Verbesserung der Lebensqualität in Städten und Stadtquartieren ein. 

Einer seiner größten „Fans“ und Förderer war der seiner Generation angehörende Prinz von Wales, heute: König Charles III. Er verfolgte seine Projekte und überzeugte sich auch immer wieder vor Ort von deren Gelingen. So kam es 1995 zum Besuch des Prinzen in Hellersdorf.

Der am 7. Februar 1944 in Leamington Spa (Grafschaft Warwickshire) geborene Thomson wurde an der Cambridge University School of Architecture als Architekt ausgebildet. Gemeinsam mit Bernhard Hunt gründete er 1969 die Hunt Thompson Associates – ein Architekturbüro, das 25 Jahre Bestand hatte. 1994 wurde John Thompson Gründungsvorsitzender von John Thomson & Partners.  

Bereits In den 1980er Jahren leistete er Pionierarbeit bei der Einführung von „Community Planning“ im Vereinigten Königreich, um städtebauliche Lösungen gemeinsam mit den Menschen vor Ort so zu planen, dass die soziale Interaktion und ein starkes Gemeinschaftsgefühl gefördert werden. Er führte Masterplanungs- und Städtebauprojekte in ganz Großbritannien und Europa durch, darunter in Belfast, Newcastle, Manchester, Birmingham und London sowie Dublin, Prag, Paris und Berlin. 


Am Ende der gemeinsamen Arbeit von insgesamt 180 Teilnehmenden stand eine städtebauliche „Vision“ des Quartiers (Abbildung oben), die schrittweise realisiert werden sollte. Sie fasste Ergebnisse der sieben Arbeitsgruppen zu den Themenfeldern Wohnung, Haus, Wohnumfeld; Mieter und Eigentümer; Verkehr; Natur und Ökologie; Soziales und Gesundheit; Arbeit und Wirtschaft sowie Kids und Jugendliche zusammen. Die WoGeHe nahm einige Anregungen für die Sanierung ihrer Gebäude auf – zum Beispiel  die Fassadengestaltung mit kräftigen Farben, die umfassende Sanierung der Wohnungen, die kreative Aufwertung der ehemals unscheinbaren Hauseingänge mit funktionellen Anbauten und „frechen“ Skulpturen. Andere Ideen, wie die Einbindung des U-Bahnhofes in das Ensemble des Cecilienplatzes, sind bis heute nicht realisiert worden. 

 

Fast 30 Jahre später übenimmt der in der Schweiz geborene und in Südafrika aufgewachsene Architekt Lars Fuhlbrügge mit seinem Unternehmen „archecon – architektur und consulting GmbH“ neue Planungen am Cecilienplatz. Fuhlbrügge, wie auch Thomson Mitglied des Royal Institute of British Architects, schweben direkt am Cecilienplatz zwei 12-geschossige Türme mit rund 150 neuen Wohnungen vor. 

 

Brasilianischem Flair im „Gelben Viertel“ 

Das „Gelbe Viertel“ – ein Gebiet mit etwa 3.200 Wohnungen und 10.000 Einwohner:innen – wurde 1997/98 neu- und umgestaltet. Aus einer Anzahl von 35 zumeist lateinamerikanischen Bewerber:innen wurden durch ein interdisziplinäres Gremium drei Teilnehmende ausgewählt und mit der Erstellung eines Konzeptes beauftragt. Den Zuschlag erhielt im April 1997 nach Abschluss eines diskursiven Gutachterverfahrens das Architekturbüro „Brasil Arquitetura“ aus São Paulo. Der Entwurf von Francisco de Paira Fanucci und Marcelo Carvalho Ferraz arbeitete mit von traditioneller brasilianischer Architektur geprägten Elementen, die in einen neuen Zusammenhang gestellt wurden. „Südliches“ Flair strahlten die ,,Mujarabi“- Holzgitterelemente an Loggien, Haustüren und Hofdurchgängen aus, die allerdings nach und nach fast überall im Quartier durch stabilere Elemente ersetzt wurden. Neben ihrer praktischen Funktion als Wind- und Sichtschutz sorgten sie für ein interessantes Spiel von Licht und Schatten. 

 

 

 

Copyright by Kadiwéu

Ein weiteres Element war die Fassadengestaltung mit senkrecht verlaufenden, etwa zwei Meter breiten Bändern aus bemalten Fliesen. Nach dem Vorbild der traditionellen Azulejos fanden sie auch in den Durchgängen und Treppenhäusern von Gebäuden zwischen der Neuen Grottkauer und Carola-Neher-Straße Verwendung. Die Architekten beschlossen, für die Gestaltung dieser Fliesen die ursprünglich vor allem zur Körperbemalung, aber auch für keramische Arbeiten genutzten Ornamente der Kadiwéu zu verwenden. Fanucci und Ferraz nahmen 1997 Kontakt mit der indigenen Gruppe aus Mato Grosso im Westen Brasiliens auf. Sie wollten eine oder mehrere Künstler:innen beauftragen, die Motive für die Fliesen zu entwerfen. Die Architekten einigten sich mit der WoGeHe darauf, die Ausführung der künstlerischen Arbeit mit 10.000 Euro zu vergüten, was einem deutschen Künstler:innenhonorar entsprach. Das Echo war unerwartet groß. 92 Frauen beteiligten sich an dem Wettbewerb. Dabei kamen insgesamt 271 Entwürfe zusammen. Aus diesen wählten die Architekten sechs für insgesamt 50.000 Fliesen aus. Die Motive wurden bei der Escola de Belas Artes in Rio de Janeiro dokumentiert und das Copyright für sie eingetragen. 

 

Gelungene Aufwertung

In nur 18 Monaten gelang die städtebauliche Aufwertung des „Gelben Viertels“ in bewohntem Zustand. Zur Bilanz gehören der Austausch von ca. 20.000 Fenstern, die Sanierung von 14 Durchgängen, 150 Treppenhäusern und Hauseingängen, die Dach-, Balkon- und Strangsanierung. Auch in den folgenden Jahren gab es keinen Stillstand. Es wurde eifrig an der Umsetzung der Identitätsschaffung für das Quartier weitergearbeitet. So baute die Wohnungsbaugenossenschaft Wuhletal eG Anfang der 2000er Jahre an viele Häuser Außenaufzüge an. Das kommunale Wohnungsbauunternehmen STADT UND LAND verwirklichte zudem ein komplexes Sanierungsprogramm, das Wohnen und Ökologie verband. Fast alle Gebäude wurden mit Solardächern ausgerüstet.

 

Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er stellt damalige Akteur:innen im Porträt vor und die historischen Hintergründe dar.