Was war und was wird, Frau Witt?

Aus- und Rückblick mit der Bezirksstadträtin

Was war und was wird, Frau Witt?

Die fünf Mitglieder der „Bezirksregierung“ blicken auf 2022 zurück und verraten, was sie in diesem Jahr so alles angehen wollen. Hier das Interview mit Juliane Witt (Linke), Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, Umwelt- und Naturschutz, Straßen- und Grünflächen.

 Was werden Sie persönlich von 2022 in Erinnerung behalten?

Wenn ich jetzt unmittelbar zurückblicke, dann natürlich einerseits die große Solidarität mit den Menschen, die aus der Ukraine gekommen sind, aber auch die Vorstellung, dass unermessliches Leid und Krieg nicht beendet werden konnten. Besonders viel Power ging von den Frauen bei der Fußball-Europameisterschaft aus. Die Sportlerinnen aus Deutschland vermochten es, eine tolle Stimmung zu vermitteln und uns alle zu begeistern – gemeinsam als Team.

 

„Klimaterroristen“ wurde kürzlich zum Unwort des Jahres gekürt. Was wäre Ihre Wahl gewesen?

In Österreich ist „Inflation“ zum Wort des Jahres gewählt worden. Ich fürchte, dass dieser Begriff auch für die meisten derzeit die größte Sorge ausdrückt. Durch Rohstoffknappheit, aber auch durch Wirtschaftsinteressen sind die Preise so gestiegen, dass etliche Familien kaum noch ausreichend Geld zum Leben haben. An sich halte ich es für hilfreicher, nicht nach vielen schlechten Worten zu suchen, sondern eher nach welchen, die Mut machen.

 

■ Welche Erfolge konnten Sie im zurückliegenden Jahr für Ihre Ressorts verbuchen?

Wir haben die Stadtentwicklung neu justiert: 1. Klare Regeln für Projektentwickler und Eigentümer, aber auch für Landesunternehmen bei neuen Projekten. 2. Möglichst wenig Flächenverbrauch und eher versiegelte Flächen als grüne Flächen bebauen. 3. Mobilität mitdenken und Parkplätze auf den eigenen Grundstücken schaffen, nicht auf den öffentlichen Straßenraum setzen. 4. Statt reiner Wohnblocks im Erdgeschoss auch Räume zum Beispiel für den Friseur bereitstellen, damit es nicht nur im Hochglanzprospekt geschrieben steht, dass hier lebendige Kieze entstehen. Und 5. Infrastruktur mitplanen. Es drehen sich nach wie vor viele Kräne, weil von 2016 bis 2021 viel geplant wurde. In meiner Verantwortung wurde die Anzahl der Baugenehmigungen deutlich nach unten gedrückt. Das Bezirksamt lenkt hier früh ein. Wir beschließen alles gemeinsam, sodass wir gegenüber den Eigentümern auch als Einheit auftreten können. Das ist ein Gewinn.

 

 Wo hat es geklemmt? 

Im Bereich Verkehr sind wir nicht zufrieden, wie viele Großprojekte laufen und wie diese kommuniziert werden. Der Marzahner Knoten startet jetzt als Bauvorhaben – das ist gut. Aber die Leute wollen auch wissen, was mit der Wuhletalbrücke wird. Wir legen einen Fokus auf den öffentlichen Nahverkehr, doch es gibt weiterhin viele Ausfälle, die für die Fahrgäste unbefriedigend sind. Bei der TVO, der Ortsumfahrung Ahrensfelde oder auch der neuen Radwegeeinheit gibt es wenig Fortschritt und ich sehe hier, dass die Senatsverwaltung, wie von vielen gefordert, wirklich mehr Druck auf die Außenbezirke macht.

 

 Erhalten Sie viele Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern? 

Ich bin auch häufig vor Ort und nehme dort Hinweise auf. Das ist konkreter und man erhält ein besseres Gespür für die Probleme und mögliche Lösungen. Ich ziehe da auch meist Fachleute hinzu. Oft geht es um Kompromisse zwischen dem, was die Bürger wünschen und dem, was die Verwaltung leisten kann. Häufig können so auch gut Entscheidungen plausibel gemacht werden. Die meisten Briefe sind persönliche Anliegen, also die Zufahrt zum Grundstück, der Lärm durch die neu entstehende Schule, der kritische Blick auf den Nachbarn und warum dieser höher bauen darf. Es geht auch oft um Bäume, die nebenan gefällt werden sollen oder um die Frage, warum einem selbst die Fällgenehmigung versagt wird. Wir prüfen alles mit Ruhe und Sorgfalt.

 

 Glauben Sie, dass der Bezirk in den letzten Jahren stadtentwicklungspolitisch den richtigen Weg eingeschlagen hat?

Eine schwierige Frage, da sich die Lage immens schnell verändert hat. Wir haben aus meiner Erfahrung rechtzeitig den Schalter umgelegt und Schulbau angemeldet, aber auch mit der Howoge dauert es um die 8 Jahre. Wenn diese 2016 bereits im Bezirk als Bedarf erkannten 13 Schulen, von Glambecker Ring bis Elsenschule, jetzt stehen würden, wäre die Schulplatzsituation nicht so prekär. Mir ist in dem Zusammenhang wichtig zu sagen, dass noch ausreichend Vorhalteflächen für Kitas und Schulen vorhanden und Kleingartenparzellen nicht in Gefahr sind. Kritisch sehe ich nach einem Sonntagsrundgang kürzlich in Hellersdorf vor allem der fehlende Angebotsmix: reine Wohnblöcke ohne einen Bäcker im Erdgeschoss, weit und breit kein Club für junge Leute und auch kaum neue Kultureinrichtungen. Immerhin gibt es inzwischen ein Umdenken, auch gerade bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die nun gezielt Praxisräume, Kitas und auch Privatschulen einplanen. Wir werden übrigens den Druck auf das Land erhöhen: ohne Schulen keine Baugenehmigung für die „Landeseigenen“ wird unsere Devise.

 

 Sie haben ihre Neubaugebote auf einen Bierdeckel drucken lassen. Hat Senator Geisel schon einen bekommen?

Ja, er und die Hausspitze am Fehrbelliner Platz haben die Bierdeckel aus Marzahn-Hellersdorf auf dem Schreibtisch. Nein, es besteht nicht in allen Punkten Einigkeit, insbesondere was die Bebauung grüner Flächen betrifft. Der Bezirk hat im Dezember auf meine Vorlage hin zwei Flächen benannt, die wir für ökologische Infrastruktur und Kinder und Jugendliche nutzen wollen – nicht für Wohnungsbau. Hier hält Herr Geisel dagegen, das müssen wir weiter auskämpfen.

 

 Gegen Ende des Jahres fanden im Bezirk zwei Stadtteildialoge statt. Was haben Sie aus den Veranstaltungen mitgenommen?

Das es nötig ist, noch mehr Zeit in die Kommunikation von Vorhaben zu investieren. Viele Anwohner sind interessiert, haben aber zu wenig Hintergrundwissen, werden durch Gerüchte der sozialen Medien verunsichert und wollen „mal von denen da hören, was wirklich Sache ist“. Hier muss das Gespräch noch ein besseres Format finden. Wir sollten schneller sachlich informieren.

 

 Was liegt für 2023 ganz oben auf Ihrem Schreibtischstapel?

Mein Büro kann bestätigen, dass es bei mir keinen Stapel gibt. Ich verlasse den Schreibtisch jeden Tag erst dann, wenn alles erledigt ist. Das bezieht sich nicht auf E-Mails, da ist in der Tat ein virtueller Turm hochgewachsen. Oberste Priorität haben die Bebauungspläne zur Sicherung der Kleingärten, die Abstimmungen mit den Nachbargemeinden Hoppegarten und Ahrensfelde und die Entwicklung der grünen Außenflächen neuer Schulstandorte.

 

■  Welche besonderen Herausforderungen wird das neue Jahr für den Bezirk bringen?

Die große Aufgabe ist es, Fachleute für den Bezirk zu finden und zu begeistern. Ob Bäcker, Ärzte, Lehrer oder unsere Planer in der Verwaltung: Es ist derzeit gravierend, wie viele Leistungen nicht erbracht werden, weil Personal fehlt. Die Menschen merken es an der Theke beim Supermarkt, bei der Post, beim Standesamt. Hier muss pragmatischer gehandelt werden. Das fängt bei Betriebswohnungen, IT-Ausstattung und dualer Ausbildung an und hört bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse auf. Die Bürger brauchen keine neue Verwaltungsreform-Task-Force, sondern jemanden, der hinter dem Schalter sitzt und das Anliegen bearbeitet.

 

■ Wie groß ist eigentlich Ihre Lust auf Winterwahlkampf?

Wir gehen natürlich alle motiviert daran, egal ob Schnee oder Regen fällt. Mich inspirieren die Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern immer.