„Subventionen sind immer nur der zweitbeste Weg“

Mammutaufgabe Wohnungsbau: STADT UND LAND-Chef Ingo Malter bekräftigt seine Forderung nach einkommensabhängigen Mieten

"Subventionen sind immer nur der zweitbeste Weg"

Ingo Malter © STADT UND LAND
Ingo Malter © STADT UND LAND

Es ist ein enormer wirtschaftlicher Spagat, den die landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin derzeit meistern sollen. Während ihnen hohe Energiepreise und Baukosten, Materialknappheit, der Fachkräftemangel auf den Baustellen und die dramatischen Zinserhöhungen zu schaffen machen, sollen sie beim Neubau nicht nachlassen, Wohnungen ankaufen, instand halten, dekarbonisieren und günstig vermieten. In unserem traditionellen Interview zum Jahresbeginn verrät STADT UND LAND-Geschäftsführer Ingo Malter, ob und wie das alles künftig überhaupt noch zu leisten ist. Außerdem spricht er über die soziale Durchmischung von Kiezen, die Bauaktivität seines Unternehmens in Marzahn-Hellersdorf und über Klimaschutz beim Wohnen. 

■ Herr Malter, wie werden Sie das Jahr 2022 in Erinnerung behalten?

Wem bleibt denn etwas anderes in Erinnerung, als dass wir wieder Krieg mitten in Europa haben? Dieses Ereignis wird auch historisch das sein, was wir mit dem Jahr in Verbindung bringen und leider ist längst noch kein Ende absehbar. Im Gegenteil: Es steckt in diesem Konflikt sogar das Potenzial, dass er sich ausweitet. Insofern bleibt nur zu hoffen, dass alle mit Umsicht agieren. 

 

■ Inwieweit konnte die STADT UND LAND als sozial orientiertes Wohnungsunternehmen Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine leisten?

Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unserem Unternehmen haben Solidarität gezeigt und sich auf vielfältige Weise engagiert. Außerdem war es uns ein Bedürfnis, 100.000 Euro zugunsten der Ukraine-Hilfe zu spenden. Von dem Geld gingen 60.000 Euro an die Aktion Deutschland Hilft e. V. und 40.000 Euro an lokale Initiativen in vier Bezirken. Damit konnten wir zum Beispiel den Frauentreff HellMa in Marzahn beim Ausbau des psychologischen Hilfsangebots für kriegstraumatisierte Menschen unterstützen. Wir haben uns bewusst für diese Größenordnung entschieden und nicht noch eins draufgesetzt, weil es viele bedürftige Gruppen in der Stadt gibt. Wir sind da sehr auf Ausgleich bedacht. 

 

■ Lassen Sie uns kurz auf den Jahreswechsel zurückblicken: Die Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick haben sich in die Diskussion um die Silvesterkrawalle eingeschaltet und eine bessere soziale Durchmischung der Kieze gefordert. Was halten Sie davon?

Ich finde den Aufhänger sehr unglücklich gewählt, denn die Silvesterereignisse haben viele Ursachen. Völlig unabhängig von den Krawallen ist das grundsätzlich aber eine sehr richtige Forderung. Wir brauchen für stabile Nachbarschaften eine gute Durchmischung von Herkünften, von Bildungsständen, von Einkommen, von Alten und Jungen, von allen möglichen Gesellschaftsteilen. Diese Aussage tragen wir seit Jahren und Jahrzehnten schon wie ein Mantra vor uns her. 

 

■ Wo auch immer derzeit kommunal gebaut wird: Der Anteil der Sozialwohnungen beträgt überall 50 Prozent. Hier in Marzahn-Hellersdorf gibt es Gebiete, denen eine niedrigere WBS-Quote sicher guttäte, während andere Viertel mehr sozialen Wohnungsbau problemlos verkraften würden. Müssten Sie vielleicht lauter und vehementer größeren Spielraum bei der Belegungspolitik fordern?

Wir halten es für klüger, da eher etwas stiller im Hintergrund Gespräche zu führen. Laute Forderungen sind in dem Zusammenhang ein zweischneidiges Schwert. Wenn Sie lauthals rufen: In diesem Kiez hier ist alles ganz schlimm, wir brauchen dringend eine niedrigere WBS-Quote, dann reden Sie Quartiere schlecht. Diese Meinung setzt sich dann sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Nachbarschaft fest und damit ist keinem geholfen.

 

■ Als wir vor einem Jahr über die hemmenden Rahmenbedingungen für den bezahlbaren Wohnungsbau gesprochen haben, meinten Sie, das alles sei nur noch dank des niedrigen Zinsniveaus stemmbar. Inzwischen sind die Zinsen durch die Decke gegangen. Nimmt die STADT UND LAND nun also keinen Neubau mehr in Angriff?

Für alle, die noch eine Wohnung suchen, habe ich zunächst einmal die beruhigende Nachricht, dass wir aktuell über 2.000 Wohnungen bauen und 600 neue in diesem Jahr auf den Weg bringen. Weitere 1.900 Wohnungen sind in der Vorbereitung. Die werden alle noch fertiggestellt. Aber um vorherzusagen, wie es danach weitergeht, müssten wir die Glaskugel bemühen. Feststeht: Wir haben aktuell einen Mietenstopp bei gleichzeitig extrem hohen Investitionsbedarfen. Wenn wir nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wollen, muss sich etwas ändern. 

 

■ Also brauchen Sie mehr öffentliche Förderung?

Ganz ohne wird es im Neubau nicht gehen. Aber Subventionen sind immer nur der zweitbeste Weg, weil sie mit Restriktionen verbunden sind. Ich wüsste auch nicht, wo das viele Geld herkommen soll. Wir sind überzeugt, die enormen Bestandsinvestitionen auch aus eigener wirtschaftlicher Kraft schultern zu können. Dafür müssten wir jedoch die Möglichkeit erhalten, Mieten differenziert zu gestalten und moderat anzuheben. Die öffentliche Wohnungswirtschaft hat längst bewiesen, dass sie das hinbekommt, ohne die Mieterinnen und Mieter zu stark zu belasten – auch in den 90 Jahren vor Kooperationsvereinbarungen.

 

■ Schrecken Sie nicht vor dem enormen Verwaltungsaufwand zurück, der bei der Erhebung von einkommensabhängigen Mieten auf Sie zukäme?

Für uns ist es die nachhaltigste Lösung der Probleme, vor denen wir stehen. Aber wir müssten dafür auch mit anderen Rechten ausgestattet werden. Momentan dürfen wir nur ein einziges Mal nach den Einkommensverhältnissen der Haushalte fragen: bei der Vermietung – danach nie wieder. Deswegen wissen wir auch nicht, ob in unseren geförderten Wohnungen nach Jahrzehnten immer noch Menschen mit kleinem Einkommen wohnen. Als ich ein mittelloser Student war, habe ich auch eine Sozialbauwohnung bezogen und bin da erst nach zehn Jahren wieder raus, als ich schon längst Besserverdiener war. Mein Einkommen wurde einfach nie wieder abgefragt. 

 

■ Zu welchem Preis müssten Sie neu gebaute Wohnungen denn vermieten, um vernünftig wirtschaften zu können?

Im freifinanzierten Bereich, also bei den Wohnungen ohne Sozialbindung, werden wir im Schnitt zwölf Euro aufrufen müssen. Wir haben einige Wohnungsbestände in bester Lage mit großartigem Spree-Blick, da bekommen wir auch mal eine Nettokaltmiete von 14 Euro pro Quadratmeter, aber das ist eher die Ausnahme.

 

■ Angesichts steigender Lebenshaltungskosten haben immer mehr Menschen Sorge, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können. Erhalten Sie solche Signale auch von Ihren Bewohnerinnen und Bewohnern?

Die Zahlungsmoral ist nicht messbar zurückgegangen. Ansonsten fehlt uns aktuell wegen des Mietenmoratoriums bis Ende des Jahres ein Instrument, mit dem wir feststellen können, ob die Belastungen zu hoch sind. Wenn wir Mieterhöhungen versenden, fordern wir die Menschen ja förmlich auf, sich an uns zu wenden, wenn sie mit der Miete überfordert sind. Das fällt gerade weg.

 

■ Was heißt überfordert?

Wir sind der Auffassung, dass niemand mehr als 30 Prozent seines Haushaltseinkommen für die Miete zahlen sollte. Bei Menschen, die sehr wenig verdienen, muss das eventuell noch einmal differenzierter betrachtet werden. 

 

 Wenn Sie von Miete sprechen, ist die Nettokaltmiete ohne Nebenkosten gemeint. Im kommenden Herbst wird die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2022 fällig. Wird es da für einige Mieterinnen und Mieter ein böses Erwachen geben?

Als letztes Jahr die Nebenkosten explodierten, haben wir alle Haushalte angeschrieben und empfohlen, die Vorauszahlungen zu erhöhen, damit die nächste Betriebskostenabrechnung eben nicht zur bösen Überraschung wird. Ein Drittel unserer Mieterinnen und Mieter sind dieser Empfehlung gefolgt. Das zeigt auch, wie verantwortungsbewusst und weitsichtig die Menschen sind. Wer die öffentlichen Diskussionen verfolgt, bekommt ja manchmal den Eindruck, wir hätten es mit Unmündigen zu tun. Dem ist mitnichten so.

 

■ Die STADT UND LAND hat im vergangenen Jahr die Haushalte auch über zahlreiche Kanäle mit Energiespartipps versorgt. 

Ja, und wir werden die Kampagne ganz sicher fortsetzen, um die Leute weiter zum Energiesparen zu motivieren. Schließlich hat das über die aktuelle Krise hinaus Relevanz. Die positiven Effekte spüren unsere Mieterinnen und Mieter deutlich im Portemonnaie und sie schonen damit auch die Umwelt. Wer sich sein Alltagsverhalten genau anschaut, wird feststellen, dass es eine Vielzahl von Stellschrauben gibt, an denen man behutsam drehen kann. Manchmal hilft es auch, sich so mancher Tugenden zu erinnern. In meiner Kindheit waren wir ein 7-Personen-Haushalt mit fünf Kindern. Unsere 120-Liter-Mülltonne hat eine Woche lang gereicht. 

Ein echter Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz ist übrigens auch eine niedrige Pro-Kopf-Wohnfläche. 

 

■ Inwiefern?

Jeder bewohnte Quadratmeter Fläche in Gebäuden führt zu höherem Energieverbrauch. Mir leuchtet ehrlich gesagt überhaupt nicht ein, warum so viele junge Menschen in Berlin eine eigene Wohnung brauchen. Ich werbe gern für WGs oder ähnliche Wohnformen, denn zwei junge Studentinnen oder Studenten, die zusammenziehen und sich Küche, Bad und Flur teilen, müssen ihre Wohnung nur einmal heizen. Sie sparen damit Geld und leisten einen echten Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Ginge die hohe Anzahl der Single-Haushalte in der Stadt zurück, würde das auch den Wohnungsmarkt entlasten.

 

■ Wie läuft denn die Vermietung der neu gebauten Wohnungen hier in Marzahn-Hellersdorf? Ist der Nachfragedruck weiterhin hoch? 

Ja. Weder im geförderten noch im freifinanzierten Teil haben wir irgendwelche Schwierigkeiten, Wohnungen zu vermieten. Man kann daraus nur schließen, dass weiterer Neubau erforderlich ist.

 

■ Welche Bauprojekte bereiten Sie in Marzahn-Hellersdorf eigentlich noch vor?

In Marzahn-Hellersdorf sind wir, Stand jetzt, im Wesentlichen durch. Neben den Vorhaben in der Bodo-Uhse- und Lily-Braun-Straße steht noch das Neubauprojekt in der Rabensteiner Straße an. Hier gehen in Kürze die Bauarbeiten los. Geplanter Fertigstellungstermin ist 2025.

 

■ Ins Service-Center der STADT UND LAND in der Adele-Sandrock-Straße kommen Kundinnen und Kunden seit der Pandemie nur noch nach vorheriger Terminvereinbarung. Wann werden wieder Öffnungszeiten angeboten?

Wir haben durch Corona gelernt, dass wir mit dem Termingeschäft in unseren Geschäftsstellen besser zurechtkommen als mit Öffnungszeiten. Darum werden wir das auch beibehalten. Möchte jemand direkt mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter der STADT UND LAND sprechen, genügt ein Anruf oder eine E-Mail, um einen Termin zu vereinbaren. Der Vorteil ist: Lange Wartezeiten gehören der Vergangenheit an. 

 

■ Sie sparen damit auch Personal.

Bei allen Herausforderungen, die vor uns liegen, und auch angesichts der anhaltend hohen Inflation – Stichwort Löhne und Gehälter – kommen wir gar nicht umhin, Kosten zu sparen. Wir können uns glücklich schätzen, dass in den letzten acht Jahren zwar unsere Bestände um 30 Prozent gewachsen sind, nicht aber in gleichem Maße unser Personal. Wir müssen mit der Zeit gehen und Möglichkeiten der Automatisierung und Digitalisierung nutzen. Damit werden wir auch künftig weitermachen.

 

■ Können Sie ein Beispiel nennen?

Unter anderem wird eine zentrale Serviceeinheit eingerichtet. Dort geht künftig auch ein Teil der 50.000 Mietermeldungen ein, die uns jährlich erreichen und einen höheren Betreuungsbedarf haben. Etwa die Hälfte davon sind kleinere Bagatellen wie der berühmte tropfende Wasserhahn, die sich durch kompetente Beratung und ein sogenanntes Ticketsystem schnell beheben lassen. Noch während des Telefonats mit der Mietpartei kann der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin am Servicetelefon online schon den Auftrag an die Firma auslösen. Das Problem ist momentan nur, dass unsere Nachunternehmer, die die Reparaturen ausführen sollen, einfach nicht genügend Personal finden. Dabei hat Handwerk goldenen Boden. Junge Menschen machen wirklich nichts verkehrt im Leben, wenn sie sich erst einmal für eine Ausbildung entscheiden und in einen praktischen Beruf gehen.

 

■ Denken Sie auch über eine Mieter-App nach?

Ganz sicher. Wir arbeiten an allen Fronten. Das wird irgendwann so selbstverständlich sein wie Online-Banking. Eines ist mir in dem Zusammenhang aber wichtig zu betonen: Unsere älteren und digital weniger affinen Mieterinnen und Mieter müssen nicht fürchten, dass wir für sie nicht mehr erreichbar sind. Das wird nicht passieren. Wir werden eine ganze Weile parallele Strukturen aufrechterhalten. 

 

■ Sie sagen, Sie müssen Kosten sparen: Trifft das auch Events hier im Bezirk wie das Balkonkino?

Das wäre an der falschen Stelle gespart. Die Ausgaben für unsere Veranstaltungen belaufen sich zwar auf mehrere Zehntausend Euro und beim Drachenfestival auch auf über 100.000 Euro, aber wir brauchen Kosteneinsparungen in Millionenhöhe. Außerdem kommen Formate wie das Balkonkino auf dem Cecilienplatz in erster Linie unseren Mieterhaushalten zugute und die Resonanz ist seit Jahrzehnten ungebrochen positiv. Darauf werden wir nicht verzichten.