„Für mich gibt es keine größere Arbeitsmotivation als den Klimaschutz“

Martin Günther ist der neue Klimaschutzbeauftragte im Bezirk

"Für mich gibt es keine größere Arbeitsmotivation als den Klimaschutz"

Spätestens bis 2045 will Berlin klimaneutral werden. Die Bezirke sollen dabei als Vorbild vorangehen. In der Marzahn-Hellersdorfer Verwaltung hat diese wichtige Zukunfts- und Querschnittsaufgabe jetzt auch wieder ein Gesicht. Nachdem die Stelle anderthalb Jahre unbesetzt war, ist mit Martin Günther seit Anfang des Jahres ein neuer Klimaschutzbeauftragter an Bord, um den bezirklichen Klimaschutz strategisch voranzubringen.

Ganz allgemein geht es darum, weniger klimaschädliche Treibhausgase zu produzieren, Müll zu vermeiden, die Energiewende zu meistern und die Umwelt zu schützen. Das erfordert einen engen Austausch mit Politik und Verwaltung, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Wir haben mit dem 42-Jährigen über seinen Job gesprochen.

 

■ Wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen?

Mit der Bahn. Ich wohne in Friedrichshain. Eigentlich bin ich aber ein Fahrradmensch. 

 

■ Marzahn-Hellersdorf ist Autobezirk. Viele Menschen hier sind nach wie vor aufs eigene Fahrzeug angewiesen. Was muss passieren, damit sich das ändert?

Wenn es attraktiver wird und schneller geht, mit alternativen Mobilitätsformen von A nach B zu kommen, dann lassen die Leute ihren Wagen auch stehen. Dafür braucht es einen starken ÖPNV in den Außenbezirken und besser ausgebaute, sicherere Radwege. Doch der Platz in der Stadt ist nun mal begrenzt. Wenn wir mehr Radspuren wollen, geht Raum für den andere Verkehrsformen verloren. Weniger Autos in der Stadt bedeuten weniger CO2-Ausstoß, weniger versiegelte Flächen, weniger Reifenabrieb, weniger Feinstaubbelastung und weniger Lärm.

 

■ Was reizt Sie am Job des Klimabeauftragten und warum gerade in Marzahn-Hellersdorf?

Für mich gibt es keine größere Arbeitsmotivation als den Klimaschutz. Das Thema beschäftigt mich schon sehr lange und besonders intensiv seit meinem Studium. Ich habe mich auch in anderen Bezirken auf die Stelle beworben. Ausschlaggebend war am Ende, dass ich hier mit dem Bezirksbürgermeister für das Thema Klimaschutz einen ausgesprochen ambitionierten und menschlichen Vorgesetzten habe, der mir wertvolles Feedback gibt aber auch Raum für eigene Ideen lässt

 

■ Hatten Sie als Friedrichshainer denn keine Berührungsängste mit Marzahn-Hellersdorf?

Überhaupt nicht. Ich verbinde etwas mit dem Ort, weil ich in den 90er Jahren familiär oft in Hellersdorf war. Seither hat sich der Bezirk stark gewandelt – zum Positiven, wie ich finde. Die kleinen Bäumchen, die damals gepflanzt worden, sind inzwischen groß geworden. Auch in anderer Hinsicht hat sich der Bezirk gewandelt. Es ist jetzt ein guter Ort zum Leben und Arbeiten, vor allem für Familien.

 

■ Der Posten des Klimaschutzbeauftragten im Bezirk war anderthalb Jahre unbesetzt. Ist da viel liegengeblieben?

Ich habe mir anhand einer Bestands- und Potenzialanalyse erst einmal einen Überblick verschafft. Klar muss vieles aufgearbeitet werden, weil in letzter Zeit nur das Nötigste getan werden konnte, über viele Bereiche verstreut. Trotzdem sind wir tatsächlich stellenweise weiter als andere Bezirke. Es gibt hier zum Beispiel schon ein Klimaschutzkonzept. Das stammt allerdings aus dem Jahr 2012, ist also veraltet und braucht eine Überarbeitung. Auch die Energie- und CO2-Bilanz für Marzahn-Hellersdorf aus dem Jahr 2021 muss fortgeschrieben werden. Auf der Habenseite steht die Teilnahme am European Energie Award (EEA). Dafür wurden konkrete Schritte und Maßnahmen erarbeitet, die uns beim Klimaschutz voranbringen. Dieses energiepolitische Arbeitsprogramm (EPAP) ist die Grundlage, nach der ich arbeite. Außerdem wurde im letzten Jahr der bezirkliche Klimarat einberufen.

 

■ Wie ist Ihr Eindruck von dem Gremium?

Dort wirken sehr viele ambitionierte Menschen und Institutionen mit. Gemeinsam mit dem Energiebeauftragten Gerrit Furchert und meinem Vorgänger Matthias Rose haben wir entschieden, dass für den European Energie Award aufgestellte Energieteam in den Klimarat zu überführen. So gibt es nur noch ein großes Gremium rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Um ergebnisorientierter zu sein, werden Arbeitsgruppen mit Expert:innen gebildet, die jeweils konkrete Projekte und Themen bearbeiten. Die Ergebnisse präsentieren die AGs dann in den nun vierteljährlich stattfindenden Klimarat-Runden. 

 

■ An welchem Projekt arbeiten Sie aktuell?

An einem Konzept für den Umbau des kompletten bezirklichen Fuhrparks. Der muss bis 2030 CO2-neutral sein. So will es das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln), das zentrale Instrument zur Erreichung der Klimaziele in Berlin, Die Maßnahme hat oberste Priorität. Leider sind die Förderprogramme für die Erstellung des Papiers inzwischen ausgelaufen. Ich muss also anderweitig Mittel akquirieren, um den Bezirk hier voranbringen zu können.


Zur Person

Der neue Klimaschutzbeauftragte Martin Günther ist 42 Jahre alt und alleinerziehender Vater eines 16-jährigen Sohnes. Nach seinem Bachelor-Studium in Life Science Engineering an der HTW, machte der gelernte Schornsteinfeger an der Beuth Hochschule für Technik Berlin seinen Master in Biotechnologie. Günther war an verschiedenen Instituten (u. a. Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Institute of Bioengineering and Nanotechnology Singapur und RKI) als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Später arbeitete er in der freien Wirtschaft als Projektmanager. Zuletzt war Er für das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg als Koordinator in der Corona-Krise beschäftigt.


■ Wie ist der Fuhrpark der Bezirksverwaltung momentan aufgestellt?

Es gibt 139 Fahrzeuge an 22 Standorten. Sehr viele wurden vor über 20 Jahren angeschafft und manche stammen sogar noch aus den frühen 90er Jahren. Vom Transporter mit Pritsche bis zum Aufsitzrasenmäher ist alles dabei. Allein 93 Fahrzeuge gehören dem Straßen- und Grünflächenamt. Neben der Elektrifizierung wird es auch ein Ziel sein, die vielen Standorte etwas mehr zu zentralisieren. Ich wünschte mir da ein Leuchtturmprojekt.

 

■ Welcher Art?

Mein Ziel für den Bezirk wäre eine völlig autarke Station, an der unsere komplette E-Flotte mit selbst erzeugtem Strom aus PV-Anlagen getankt wird. Den Mitarbeiter:innen der Verwaltung, die Außentermine wahrnehmen müssen, stünden dort alle alternativen Mobilitätsformen zur Verfügung und sie könnten je nach Bedarf und Wetterlage wählen, ob sie ins E-Auto steigen, das E-Lastenrad nehmen oder sich aufs E-Bike schwingen. Mal sehen, ob uns das gelingt.

 

■ Wo lässt sich auf Bezirksebene in Sachen Klimaschutz am meisten reißen?

Überall dort, wo gebaut, modernisiert und saniert wird, könnten Akzente für mehr Klimaschutz gesetzt werden – sei es der Schulhof, die Straße, der Spielplatz oder die Kultureinrichtung. Aktuell bin ich Einzelkämpfer und muss priorisieren, um was ich mich zuerst kümmere. Andere Bezirke haben ganze Klima-Teams. Da ist dann eine Person zum Beispiel nur für Mobilität, nur fürs Klimaschutzkonzept oder für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.  In Marzahn-Hellersdorf ist noch eine weitere Stelle zum Thema geplant, die nun ausgestaltet und besetzt werden soll. Ich freue mich auf die personelle Verstärkung.

 

■ Sie sprechen die Öffentlichkeitsarbeit an. Klimaschutz geht ja uns alle an. Wie wollen Sie die Bewohner:innen mit einbinden?

Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, weil viel zu oft die Konzepte und Projekte nicht offensiv genug in der Bevölkerung beworben werden. Ich plane zum Auftakt eine Online-Bürger:innenbefragung, um die Meinung der Bürger:innen zu bestimmten Zielen und Ideen zu erfahren. Wenn sich die Menschen gefragt und gehört fühlen und auch sehen, dass ihre Hinweise in Maßnahmen einfließen, erreichen wir vielleicht auch breitere Akzeptanz.

 

■ Was meinen Sie, ist Wissen über den Klimawandel das A und O, um die Leute zu einem geänderten Verhalten zu bewegen?

Klar sind Wissen und Bildung ein wichtiger Baustein. Ich stelle mir oft die Frage, wie es gelingt, ein Bewusstsein zu schaffen, ohne ständig die Wörter Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Mund zu nehmen, weil gefühlt immer mehr Leute von dem Thema genervt sind – auch durch die Medienberichterstattung. Ein Ansatzpunkt ist sicher, naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels in allen Schulfächern, die damit Schnittmengen haben, spannend zu vermitteln. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich solche Lehrer:innen und Dozent:innen hatte. Wichtig ist aber auch, den Menschen klar zu machen, was kann der Bezirk, das Land leisten für den Klimaschutz und was kommt von jedem Einzelnen.

 

■ Worauf achten Sie im Alltag?

Da gibt es einiges. Nur mal ein paar Beispiele: Alle Elektrogeräte bis hin zum Router werden bei mir zu Hause per Schutzschalter ausgeknipst. Ich versuche auch mein Abwasser noch zu nutzen und esse keine Avocados aus Chile oder Peru, obwohl ich die total lecker finde. Aber wenn ich mir vor Augen halte, dass für zwei bis drei Stück 1.000 Liter Wasser benötigt werden und der Bevölkerung dafür teilweise der Zugang zu Trinkwasser geraubt wird, verzichte ich gern. Hinzukommen die langen Transportwege. Ähnlich verhält es sich bei dem hochgelobten argentinischen Rindfleisch. Die CO2-Bilanz ist eine Katastrophe. Zur Schaffung von Weideflächen und um das Sojakraftfutter für die Tiere anzubauen, werden Urwälder zerstört. Generell versuche ich, Fleisch auf meinem Speiseplan zu minimieren.