Zum Tod von Heinz Florian Oertel: Die Stimme des DDR-Sports ist verstummt

Zum Tod von Kommentatoren-Legende Heinz Florian Oertel

Die Stimme des DDR-Sports ist verstummt 

Ob Plauderstunde im KulturGut, Buchvorstellung im Sportmuseum oder Willkommensparty für die Marzahner Hammerwerferin Betty Heidler: DDR-Reporterlegende Heinz Florian Oertel hat es auch bei seinen zahlreichen Besuchen in Marzahn-Hellersdorf jedes Mal vermocht, die Zuhörer mit seiner sonoren Bassstimme, der bildhaften Sprache, jeder Menge Wortwitz und einem bemerkenswerten Zahlen- und Faktengedächtnis zu fesseln. Jetzt ist diese unvergleichliche Stimme verstummt. Der gebürtige Cottbusser und spätere Wahl-Berliner starb Medienberichten zufolge bereits am 27. März im Alter von 95 Jahren. 

„Zufälle dirigieren uns alle“

Vieles in seiner steilen Karriere, davon war Heinz Florian Oertel überzeugt, wurde vom Zufall gelenkt. „Zufälle dirigieren uns alle“, sagte der ehemalige DDR-Sportjournalist mal bei einem seiner Besuche im Bezirk, bevor er davon berichtete, wie seine Jugend 1943 vom Zweiten Weltkrieg beendet wurde: Mit 16 sei er von den Nazis zum Ostwall-Schippen abkommandiert worden. Zwei Jahre später geriet er als Matrose der deutschen Kriegsmarine in britische Gefangenschaft. Zurück in der Heimat wollte der junge Lausitzer zunächst Schauspieler werden, „weil ich zu Schulzeiten der beste Gedichte-Aufsager in meiner Klasse war.“ Sein Engagement am Stadttheater aber blieb nur von kurzer Dauer. Oertel verdiente lieber als Junglehrer für Sport und Deutsch sein Geld. Doch dann erhielt Cottbus ein Rundfunkstudio und der damals 21-Jährige fing Feuer. Gleich seine erste Bewährungsprobe meisterte der spätere Star-Reporter mit Bravour, obwohl sich die Ereignisse im Stadion der Freundschaft, 1949, beim Endspiel um die Brandenburgische Meisterschaft im Frauenfeldhandball nicht gerade überschlugen: „Das einzige Tor fiel in der dritten Spielminute. Es herrschte eine Friedhofsstimmung.“ Was dann kam, war der unaufhaltsame Aufstieg eines leidenschaftlichen Sportjournalisten.

 

„Waldemar“-Spruch hat Kultstatus

Oertel berichtete als Radio- und Fernsehkommentator unter anderem von 17 Olympischen Spielen, acht Fußball-Weltmeisterschaften, 17 Friedensfahrten und 25 Welt- und Europameisterschaften im Eiskunstlauf. Er holte sich die ganz großen Athleten ans Mikrofon. Mit seinem für Sportreportagen eigentlich untypischen blumigen Stil begleitete er sie bei Erfolgen und Niederlagen. Die Siegesfahrten von Radfahrer Täve Schur, die Pirouetten von Eisprinzessin Katarina Witt oder auch das legendäre Sparwasser-Tor bei der Fußball-WM 1974 – all diese Momente ostdeutscher Sportgeschichte sind unweigerlich mit der Stimme eines vor Begeisterung sprühenden Heinz Florian Oertel verbunden. 

Kultstatus hat seine Live-Berichterstattung vom zweiten Marathon-Olympiasieg Waldemar Cierpinskis 1980 in Moskau. Der Aufforderung „Liebe junge Väter oder angehende, haben Sie Mut: Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar!“, sollen sogar einige wenige frischgebackene Eltern gefolgt sein. 

 

Hier gratulierte Heinz Florian Oertel der Marzahner Hammerwerferin Betty Heidler im Sportmuseum zu ihrer Medaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London.
Hier gratulierte Heinz Florian Oertel der Marzahner Hammerwerferin Betty Heidler im Sportmuseum zu ihrer Medaille bei den Olympischen Spielen 2012 in London.

 

Ein Mehrkämpfer am Mikrofon

Seine Qualitäten prädestinieren den Meister am Mikrofon aber auch für Unterhaltungssendungen. „Ich hatte immer den Status des Mehrkämpfers: Hörfunk und Fernsehen, Sport und Unterhaltung.“ Sein „Porträt per Telefon“ etwa gilt als einer der ersten Live-Talks im deutschen Fernsehen. Insgesamt wurde Heinz Florian Oertel in der DDR 17 Mal zum Fernsehliebling des Jahres gewählt. Dabei sah er sich immer als Radio-Mann. Ohne Unterbrechung war er von 1951 bis 1991 beim Berliner Rundfunk angestellt. Sendungen wie „Hehehe – Sport an der Spree“ oder „7-10 Sonntagmorgen in Spreeathen" verfolgten unzählige Zuhörer an den Hörgeräten. An der Entwicklung der Formate wirkte der Reporter häufig selbst mit. 

 

Seine Stimme bleibt im Ohr

Nach der Wende verflog das Interesse an den unstrittigen Fähigkeiten der „Stimme des DDR-Sports“. Heinz Florian Oertel, der nie verleugnet hatte, bis zuletzt ein überzeugter DDR-Bürger gewesen zu sein, fand in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten des vereinten Deutschlands keine Anstellung mehr. Am 31. Dezember 1991 verlas er im Berliner Rundfunk ein letztes Mal die Sportnachrichten. Danach galt seine Konzentration dem gedruckten Wort. Er schrieb mehrere Bücher, gab zahlreiche Olympia-Chroniken heraus, veröffentlichte auch nach der Wende Kolumnen für renommierte Tageszeitungen und war darüber hinaus gern gesehener Gast bei Lesungen und öffentlichen Veranstaltungen. Generationen von Sportfans haben seine unverwechselbare Stimme noch heute im Ohr. Heinz Florian Oertel bleibt unvergessen.