Marzahn-Hellersdorfs neue Bezirksbürgermeisterin: „Ich freue mich auf diese Aufgabe“

Nadja Zivkovic hat großen Bock auf das Amt der Bezirksbürgermeisterin

"Ich freue mich auf diese Aufgabe"

Fußballmetaphern sind in der Politik ein beliebtes Sprachbild. Über Nadja Zivkovic ließe sich sagen: Sie ist erfahren darin, erst im Laufe des Spiels eingewechselt zu werden und gleich abliefern zu müssen. Nach dem überraschenden Rücktritt ihres Parteikollegen Johannes Martin als Stadtrat wurde sie Ende 2018 dessen Nachfolgerin und betrat damit erstmals das politische Feld. Jetzt ist wieder eine Legislaturperiode angebrochen und die Christdemokratin hat die Kapitänsbinde im Bezirksamt von Gordon Lemm (SPD) übernommen.

Die Wiederholungswahl hat’s möglich gemacht. Auch wenn ihr zunächst nur dreieinhalb statt der regulären fünf Jahre im Amt bleiben, fühle sie sich keineswegs gehetzt, sagt die studierte Juristin und Medienwissenschaftlerin: „Ich kenne den Bezirk, die Herausforderungen und Probleme, bin gut vernetzt und freue mich auf die Aufgabe.“ Dabei hat es ihr Ressort in sich. Die 44-Jährige wird für Finanzen, Personal, Wirtschaft, Straßen und Grünflächen sowie Umwelt- und Naturschutz zuständig sein. Eine Woche nach ihrer Wahl haben wir Nadja Zivkovic im Rathaus zum Interview getroffen.

 

■ Frau Zivkovic, wie gefällt Ihnen der Ausblick aus Ihrem neuen Amtszimmer?

In meinem bisherigen Büro an der Riesaer Straße habe ich ins Grüne geschaut. Hier am Alice-Salomon-Platz geht es etwas urbaner zu. Ich mag das sehr. Allein schon durch die Straßenbahn und den U-Bahnhof ist viel mehr Leben, wenn ich das Fenster öffne.

 

■ Der Rathausvorplatz soll in den kommenden Jahren aufgewertet werden. Was fehlt Ihnen hier?

Es ist ein komplett versiegelter Platz, dem schattenspendende Bäume und mehr Aufenthaltsqualität guttäten. Wir sind auch dran, das zu ändern. Ein echter Gewinn ist die Eröffnung des neuen Bäcker-Cafés. Sobald da ein paar Schirme stehen, die Leute draußen sitzen, Kaffee trinken und Kuchen essen, bringt das auf jeden Fall Belebung. Außerdem freue ich mich, dass sich die Alice-Salomon-Hochschule hier „ausbreitet“. Erst kürzlich wurde am Kokoschkaplatz Richtfest für den Ergänzungsbau gefeiert. Die Hochschule hat schon angekündigt, weiterhin die Räume in der Passage am Fritz-Lang-Platz anmieten zu wollen. Damit sind wir hier bald ein Bezirksamt auf dem Campus der ASH, umgeben von vielen jungen Menschen – toll!

 

■ In der ersten Woche stand für Sie gleich ein wichtiger Termin an: der Rat der Bürgermeister. Ging es bei dem Treffen mit den anderen Bezirkschefs und Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner eigentlich gleich ans Eingemachte?

Die Tagesordnung war im Verhältnis zu den sonstigen Sitzungen recht kurz. Ich konnte mich aber intensiv mit den anderen Bezirksbürgermeistern austauschen und wir haben uns ausführlich mit der Geflüchteten-Thematik auseinandergesetzt, die uns wohl auch in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen wird.

 

■ Als ehemalige Sozialstadträtin stecken Sie im Stoff. Berlins neue zuständige Senatorin Cansel Kiziltepe hat betont, wie wichtig ihr eine gerechte Verteilung von Geflüchteten über die ganze Stadt sei und dass es dabei auf alle Bezirke ankomme.

So ist es. Wir fordern das als Bezirksamt ja seit Langem. Im Rat der Bürgermeister sind sich nun auch alle einig, dass wir diese Aufgabe nur gemeinsam stemmen können. Lichtenberg, Pankow und Marzahn-Hellersdorf haben da bereits einen großen Beitrag geleistet. Aber Integration ist allein mit der Unterbringung eben nicht getan und da stoßen wir an unsere Grenzen. Ein Beispiel: 200 geflüchtete Kinder können bei uns derzeit nicht beschult werden. Das ist ein Drama, denn die Kinder haben keine Tagesstruktur und die Eltern können die Sprache nicht lernen beziehungsweise nicht arbeiten gehen. 

 

■ Welche Themen wollen Sie als Bezirksbürgermeisterin unbedingt in Angriff nehmen?

Das Kombibad werden wir bis 2026 nicht fertig gebaut bekommen, aber die Voraussetzungen dafür müssen geschaffen werden. Die Finanzierung steht im Koalitionsvertrag. Da ist unseren Abgeordneten ein wichtiger Schritt gelungen. Jetzt müssen wir hier im Bezirk den B-Plan weiter voranbringen.  Außerdem brauchen wir eine bessere ambulante ärztliche Versorgung. Die angekündigte Eröffnung der KV-Praxis im Forum Kienberg ist ein erster wichtiger Schritt, aber kann nur der Anfang sein. Auch müssen weitere Wohnungen entstehen, aber unter der Bedingung, dass die soziale Infrastruktur entsprechend mitwächst und keine grünen Innenhöfe geopfert werden. 

 

■ Wenn Sie nicht auf Genehmigungen oder Geld schauen müssten: Was würden Sie dann am liebsten von heute auf morgen im Bezirk umsetzen?

Dann würde ich mit einem Schnips alle benötigten Schulen und Schulhöfe herzaubern, damit die Kinder und Jugendlichen aus Marzahn-Hellersdorf gute Lernbedingungen haben und ihre Schulzeit genießen können. Aber sind es im Märchen nicht immer drei gute Wünsche? Die brauche ich auf jeden Fall wegen des Freibads und der TVO.

 

■ Ihr Vorgänger hat in einer seiner letzten Amtshandlungen eine Haushaltssperre für das Bezirksamt verhängt. Hat Sie diese Entscheidung überrascht?

Es kam etwas plötzlich und wurde nicht optimal kommuniziert. Die Pressmitteilung ging raus, bevor alle Bezirksverordneten Bescheid wussten. Nichtsdestotrotz ist die Haushaltssperre notwendig. Ich konnte mich bereits mit der Leiterin der bezirklichen Serviceeinheit Finanzen dazu austauschen. Wir sind jetzt bei erwarteten Mehrausgaben für 2023 von 19 Millionen Euro, hauptsächlich durch die Hilfen zur Erziehung. Diese Lücke wird allein durch Steuerung wahrscheinlich nicht zu schließen sein.

 

■ Das heißt?

Es stehen Verhandlungen mit der Senatsverwaltung für Finanzen an. Dafür brauchen wir unbedingt gute Argumente. Wenn ich nur hingehe und einfach mehr Geld fordere, stehen die Erfolgschancen schlecht. Damit unser Mehrbedarf anerkannt wird, müssen wir deutlich machen, inwieweit sich die Situation unserer Familien systematisch von denen in anderen Bezirken unterscheidet. Darüber hinaus werden wir uns den Bereich im Jugendamt aber auch noch mal genau anschauen müssen, um sicherzugehen, dass tatsächlich alle Stellschrauben bei den Erziehungshilfen korrekt justiert sind. 

 

■ In Ihrer Bewerbungsrede haben Sie gesagt, eine zuverlässige Verkehrsinfrastruktur werde in allen Bereichen benötigt: beim ÖPNV, Auto-, Rad- und Fußverkehr. Die Baustellen sind groß. Für vieles ist auch das Land zuständig. Was kann der Bezirk überhaupt angesichts knapper Kassen und fehlender Fachkräfte bewirken?

Wir können durchaus einiges stemmen. Ich bin da zuversichtlich. Es ist mir auch in der Vergangenheit gelungen, Sondermittel für Gehwege zu akquirieren. Das muss uns auch wieder gelingen. Gleichzeitig sind viele Straßen in die Jahre gekommen und sanierungsbedürftig. Auch da müssen wir weiter tätig sein. Die gute Nachricht ist: Im Juni nimmt der neue Leiter unseres Straßen- und Grünflächenamts seine Arbeit auf. Er kommt aus dem Bezirksamt Mitte und bringt viel Erfahrung mit. 

Wie mir berichtet wurde, unterstützen nun auch junge Fachkräfte von morgen im Rahmen ihres dualen Studiums die Abteilung. Trotzdem fehlt Personal weiterhin an allen Ecken und Enden. Seit Jahren zum Beispiel wirbt der Bezirk vergeblich um Radverkehrsplaner.

 

■ Sie haben Straßen und Grünflächen sowie das Natur- und Umweltamt schon einmal von 2018 bis 2021 verantwortet. Eine Ihrer umstrittensten Entscheidungen war die Aufschüttung des Steinwalls am Biesdorfer Baggersee, um dort das illegale Wildbaden einzudämmen. Gibt es ähnliche Ideen für die Kaulsdorfer Seen?

Es gibt einen BVV-Beschluss, wonach die Schilfbereiche an den Kaulsdorfer Seen besser geschützt werden sollen. Jetzt ist Mai. Ich denke nicht, dass sich das bis zum Beginn der „Badesaison“ noch realisieren lässt. Aber perspektivisch müssen wir da ran. Erfreulicherweise konnte die BSR das Müllproblem in den Griff bekommen. Wobei ich immer noch nicht begreife, warum so viele Leute es nicht schaffen, alles wieder mitzunehmen, was sie angeschleppt haben.

 

■ Sie sind jetzt auch wieder für die Wirtschaftsförderung verantwortlich und haben die Unternehmerschaft im Bezirk für deren großen Lokalpatriotismus gelobt. Wie macht sich das denn konkret bemerkbar?

Ich erlebe es unter anderem im „Ladies Circle“, den ich gemeinsam mit der Vorständin der Koch Automobile AG, Jenny Koch, ins Leben gerufen habe. Aus diesen Netzwerktreffen sind schon einige Aktionen und Projekte für den Bezirk entstanden. Zum Beispiel hat die in der Wolfener Straße ansässige Modefirma 24COLOURS die Kleiderspendenaktion bei der DRK-Veranstaltung „Suppe für alle“ auf dem Helene-Weigel-Platz unterstützt. 

Aber eigentlich möchte ich niemanden hervorheben. Ob Wohnungsbaugesellschaften oder -genossenschaften, die Akteure vom UKB-Campus oder am Zukunftsort zwischen Nordring und Knorr-Bremse: Viele Unternehmen stehen hinter Marzahn-Hellersdorf und betreiben Standortmarketing. Ich habe von ihnen noch nie ein Nein bekommen, wenn es um die Unterstützung für den Bezirk ging.

 

■ Stichwort Standortmarketing: Wenn Sie Gästen an einem Tag Marzahn-Hellersdorf zeigen sollten, wohin ginge es?

Ich würde mit ihnen auf jeden Fall Schwester Margareta im Don-Bosco-Zentrum besuchen, weil ich sie als Persönlichkeit bewundere und ihre Arbeit für Kinder, Jugendliche und Hilfebedürftige sehr schätze. Weitere Stationen wären sicher der Wolkenhain, die Gärten der Welt, Schloss Biesdorf und Alt-Marzahn, den Tierhof oder die Kirche. Aber es gibt noch sehr viel mehr, da reicht ein Tag nicht.

 

■ Aus welchen Orten ließe sich Ihres Erachtens noch größeres touristisches Potenzial herauskitzeln?

Da fällt mir auf Anhieb die Bockwindmühle ein. Ich fände es cool, wenn dort vom Getreideanbau über Mehl mahlen bis zum Brotbacken alles stattfinden würde. Das i-Tüpfelchen wäre ein Veranstaltungsgebäude mit großer Küche. Dort könnten aus dem frisch hergestellten Mühlenmehl Brote gebacken werden. Das wäre auch eine schöne Möglichkeit, Lebensmittelkompetenz und Ernährungsbildung bei unseren Kindern zu fördern. Ohnehin fehlen Veranstaltungsräume im Bezirk. Die Tourist-Info ist ständig ausgebucht.

Auch den Wuhletal-Wanderweg vermarkten wir kaum, dabei kann man von den Ahrensfelder Bergen bis nach Köpenick stundenlang durchs Grüne spazieren. Wo in der Stadt geht das noch? Was wir aber auch unbedingt brauchen ist ein Hotel. Wir waren dazu mit der Grün Berlin GmbH in einem guten Austausch. Die Gespräche möchte ich wieder aufnehmen.

 

■ Auf welches Event freuen Sie sich in diesem Jahr besonders?

Auf die Special Olympics World Games im Juni: Wir sind „Host Town“ der weltweit größten inklusiven Sportveranstaltung der Welt und empfangen eine Delegation von den Marshallinseln. 

Bedauerlicherweise kann das Biesdorfer Blütenfest auch in diesem Jahr wieder nicht stattfinden. Aber ein Programmpunkt wird in diesem Jahr größer aufgezogen: das Sängerfest. Am 1. Juli treten mindestens elf Chöre in der Krankenhauskirche im Wuhlgarten auf. Die Akustik ist dort besser als auf der Parkbühne. Geplant ist an dem Tag auch, dass das Stadtteilzentrum Biesdorf vor der Kirche einen Markt auf die Beine stellt.

 

■ Der Job als Bezirksbürgermeisterin ist extrem zeitintensiv. Es gibt kaum freie Abende und auch am Wochenende stehen oft Termine an. Wie sieht Ihr Ausgleich zum stressigen Berufsalltag aus?

Mein Hündin ist ein super Ausgleich. Sie zwingt mich zum Rausgehen und Joggen. Abende mit Freunden sind mir wichtig. Das möchte ich nicht missen. Ansonsten lese ich wahnsinnig gern Zeitungen in Papierform und Belletristik. Ich bin seit 20 Jahren treue „ZEIT“-Abonnentin und bekomme von meinem Lebensgefährten immer zum Geburtstag und zu Weihnachten ein Buchbox-Abo geschenkt. Das bedeutet: Alle 14 Tage flattert ein neuer Roman ins Haus.