„Ich kann da nicht tatenlos zuschauen“

Mahlsdorfer Student Laurenz Terl leistet auch in diesem Jahr wieder Kältehilfe

"Ich kann da nicht tatenlos zuschauen"

Eigentlich wollte er seine 2020 gegründete Initiative „Kältehilfe MaHe“ einstellen, denn Studium, Job und Ehrenamt verlangen dem 22-Jährigen schon genug ab. Nun aber rüstet sich Laurenz Terl erneut für den Winter. Der junge Mahlsdorfer wird in den kommenden Wochen wieder Spenden sammeln, um Obdachlose in der Stadt mit Essen, warmen Getränken, Kleidung, Schlafsäcken sowie Körperpflegeprodukten zu versorgen und ihnen so das raue Berlin ein bisschen erträglicher zu machen. 

Die Sozialkürzungen des Senats in Zeiten von steigenden Mieten, Inflation und zunehmenden psychischen Belastungen hätten ihn bewogen, weiterzumachen, verrät er. Terl fürchtet, dass in nächster Zeit noch mehr Menschen auf der Straße landen könnten. Die Sorge teilen auch Streetworker und Hilfseinrichtungen. „Ich kann da nicht tatenlos zuschauen.“ 

 

Anders aufziehen will der Psychologie-Student die „Kältehilfe MaHe“ allerdings schon. Die Aufgaben sollen auf mehreren starken Schultern verteilt werden. Dazu kooperiert Laurenz Terl mit verschiedenen sozialen Trägern aus seinem über die Jahre geknüpften Netzwerk. Auch die Spielplatzinitiative Marzahn hat sich wieder bereiterklärt, mitzuhelfen und als Annahmestelle für Spenden zu fungieren. Neben den notwendigsten materiellen Dingen geht es bei der Aktion auch darum, den obdachlosen Menschen ein wenig Zuwendung zu schenken – wenn diese es denn wollen.

 

Ihre Schicksale gehen an die Nieren. Eine Begegnung bekommt Laurenz Terl bis heute nur schwer aus dem Kopf. Am Kotti vertraute sich ihm eine Schwangere an, die auf der Straße vergewaltigt worden war und das Kind ihres Peinigers nicht austragen wollte. Sie trank, nahm Drogen und rauchte. „Die Frau war völlig verzweifelt und komplett hoffnungslos“, erinnert sich der Mann aus Mahlsdorf. Er wandte sich an das zuständige Bezirksamt, schilderte den Fall und bekam einen Kontakt genannt, den er der Obdachlosen hätte übermitteln können. Doch Laurenz Terl fand die Frau nie mehr wieder. „Das ging mir sehr nahe. Ich frage mich heute noch, was aus ihr und dem Kind wohl geworden ist.“ 

 

1.567 Wohnheimplätze

Flucht, Krankheiten aller Art, Miet- und Energieschulden, psychische Probleme, Sucht, Trennung oder Scheidung – die Gründe für Obdachlosigkeit sind divers. Häufig haben Betroffene „multiple Problemlagen“. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird feststellen, dass immer mehr Menschen ohne festes Zuhause ihre Tage auch auf Marzahn-Hellersdorfer Plätzen oder in Parks verbringen – sei es in den Springpfuhl-Passagen, am Bahnhof Ahrensfelde, in Helle Mitte oder in der Gülzower Straße. Wie viele es genau sind, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen.

 

Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke) sprach in der Oktober-Sitzung der BVV von insgesamt 3.590 Menschen in der ordnungsbehördlichen Zuständigkeit des Bezirks, die zum 31. Januar 2023 dringend ein Dach über dem Kopf benötigten. Untergebracht wurden sie vorrangig in Marzahn-Hellersdorf, „aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil in den berlinweit zur Verfügung stehenden Unterkünften“, verriet Witt, die die Kapazität in den Wohnheimen nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz – kurz ASOG – in diesem Winter mit 1.567 Plätzen bezifferte. Weil das nicht ausreicht, werden derzeit auch Hostels und Hotels wie das Park-Hotel Kaulsdorf, das EastWest im Habichtshorst, Ecke Köpenicker Straße, The Aga‘s Hotel in der Rhinstraße oder das Ootel.co in der Allee der Kosmonauten zur Unterbringung genutzt. Nicht wenige private Besitzer verdienen sich damit goldene Nasen.

 

Aus für Netzwerk der Wärme

Eine eher untergeordnete Rolle spielen in Marzahn-Hellersdorf derzeit noch die in anderen Bezirken extrem nachgefragten Einrichtungen der Berliner Kältehilfe. Sie geben Obdachlosen von Oktober bis April unbürokratisch Notschlafplätze. Gerade einmal 18 von berlinweit bis zu 1.000 dieser Betten befinden sich im Bezirk – genauer gesagt in den Gebäuden an der Otto-Rosenberg-Straße. Sie werden vom Träger Neustart betrieben und sollen die vergangenen Winter über nicht ausgelastet gewesen sei. „Die Außenbezirke werden deutlich weniger von Menschen aufgesucht, die abends eine Unterstützung brauchen“, weiß Sozialstadträtin Witt. 

 

Tagsüber sieht das anders aus. Martina Polizzi, Mitglied der Linksfraktion und Leiterin des Stadtteilzentrums Marzahn-Mitte, beklagte in der Oktober-Sitzung der BVV den anstehenden Wegfall der Mittel aus dem „Netzwerk der Wärme“. Das Projekt habe Obdach- und Wohnungslosen, aber auch anderen Bedürftigen an vielen Orten im Bezirk die Chance gegeben, sich aufzuwärmen, heiße Getränke und Suppe, Kleidung und Beratung zu bekommen, so Polizzi.

 

Das Netzwerk wurde im Herbst 2022 vor dem Hintergrund der Energiekrise ins Leben gerufen, um bestehende soziale Angebote wie die Suppenküche vom DRK zu stärken und neue Anlaufstellen wie den beliebten Umsonstladen „UnbezahlBar“ in der Marzahner Promenade zu schaffen. Der Senat wird das befristete Projekt nicht verlängern. Mit einem Brandbrief hatten Träger der sozialen Arbeit gegen das Aus protestiert. Unterstützung gab es dabei auch von Juliane Witt: „Fast jeden Tag erreichen uns Berichte und Hinweise, dass die Inflation die Familien fordert, dass Senioren sich in Not sehen, dass Obdachlosigkeit droht und auch der soziale Zusammenhalt in Gefahr ist“, so die Linken-Politikerin. Die im Rahmen des Netzwerks geförderten Aktivitäten würden diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen und seien daher in den bevorstehenden Wintermonaten aufrechtzuerhalten, fordert Witt.

 

Spendensammelstellen für die Kältehilfe MaHe

■ Abenteuerspielplatz West

Ahrensfelder Chaussee 26 12689 Berlin

Mo-Fr: 13-18 Uhr

 

■ Stadtteilzentrum Marzahn-Mitte

Marzahner Promenade 39

12679 Berlin

Mo-Do: 9-16 Uhr, Fr: 9-14 Uhr

 

Kontakt: 

terl.kaeltehilfe@gmail.com