Gestatten, Berlins Elternstimme Nummer eins: Norman Heise

Der Marzahner Vater wurde mit der Berliner Ehrennadel ausgezeichnet

Gestatten, Berlins Elternstimme Nummer eins: Norman Heise

Mit Entscheidungsträgern diskutieren, Telefonate führen, Interviews geben, an Sitzungen teilnehmen, Infoveranstaltungen durchführen und bis tief in die Nacht E-Mails schreiben: Wenn andere Feierabend machen, dreht Norman Heise noch mal richtig auf. Seit fast 20 Jahren verschafft der Vater zweier Söhne (14 und 20) Eltern von Kita- und Schulkindern Gehör bei Politik und Verwaltung. Angetrieben vom unbändigen Willen, Auswege aus der Bildungsmisere zu finden, wirkte und wirkt er in etlichen Gremien auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene mit. Für sein inzwischen neunjähriges Engagement als Sprecher des Landes-Elternausschusses Schule (LEA) wurde dem 45-jährigen Marzahner im Festsaal des Roten Rathauses nun die Berliner Ehrennadel verliehen. 

Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt sagte in seiner Laudatio: „Norman Heise widmet sich bis heute mit großer Leidenschaft und ausdauernder Beharrlichkeit seinem Ehrenamt im Bereich der Bildungs- und Schularbeit.“ Seine Bemühungen sowie „der unaufhörliche Wunsch nach Verbesserung und Förderung“ seien „ein Garant für nachhaltigen Erfolg und ein Gewinn für die Berliner Bildungslandschaft.“ Wir haben mit dem Preisträger, der hauptberuflich für ein Tourismusunternehmen Ferienwohnungen auf Usedom vermittelt, über seinen unbezahlten „Zweitjob“ gesprochen.

Herr Heise, nach dem bezirklichen Ehrenamtspreis und der Wahl zum „Spitzenvater des Jahres 2015“ ist das für Sie die dritte Auszeichnung. Was bedeutet sie Ihnen?

Wenn Ehrenamt wahrgenommen wird, ist das natürlich erfreulich. Zumal einem die Berliner Ehrennadel ja auch nicht gerade hinterhergeworfen wird. Der Senat vergibt sie jährlich an 24 Personen für besonderes und langjähriges soziales Engagement. Ein Auswahlgremium entscheidet über die Auszeichnung. Ich wurde vom Landeselternausschuss vorgeschlagen, der sehr ausführlich begründen musste, warum ich den Preis verdient habe. 

 

Sie haben den LEA-Vorsitz seit neun Jahren inne, engagieren sich aber schon fast doppelt so lange als Elternvertreter. Wie sind Sie da reingeraten?

Alles begann mit dem Kita-Besuch meines älteren Sohnes. Damals gingen in Berlin die Kindertagesstätten gerade aus der bezirklichen in die freie Trägerschaft über und es gab viele Unklarheiten. Auf dem ersten Elternabend habe ich gefühlt tausend Fragen gestellt. Die Erzieherinnen schlugen vor, dass ich in der Elternvertretung mitwirken könne, um meinen Informationsbedarf zu stillen. Also habe ich kandiert und wurde gewählt. Es blieben allerdings viele Fragen ungeklärt. Für mich war es deshalb die logische Konsequenz, in weitere Gremien zu gehen. Später dann in der Schule das gleiche Spiel. Im Laufe der Jahre haben ich einen guten Einblick in fast alle Schulformen erhalten. Mein Ältester besucht inzwischen ein Oberstufenzentrum. Der Jüngste geht aufs Gymnasium. 

 

Wenn Sie von Beginn an gewusst hätten, was alles auf Sie zukommt, hätten Sie es dann trotzdem gemacht?

Vermutlich nein. Weil ich es mir ganz am Anfang einfach auch nicht zugetraut hätte. Man wächst ja mit den Aufgaben und wird immer sicherer – sei es in den Gesprächen, die man führt, in den Zusammenhängen, die es zu durchblicken gilt, oder in den Argumenten, die man vorträgt.

 

Haben Sie schon mal überschlagen, wie viel Ihrer Zeit fürs Ehrenamt draufgeht?

Ehrlicherweise nicht. Ich mache das ganz bewusst nicht, um nicht Gefahr zu laufen, in eine Sinnkrise zu geraten – von wegen: viel Aufwand und vergleichsweise wenig Nutzen. Aus dem Grund habe ich auch relativ schnell gelernt, mich nicht an den großen Zielen zu messen, sondern die vielen kleinen Zwischenschritte als Erfolg zu verbuchen.

 

Auf welche der kleinen Errungenschaften sind Sie besonders stolz?

Zum Beispiel auf die Rolle des Landeselternausschusses beim Ingangsetzen der Schulbauoffensive. Wir haben uns damals sehr intensiv mit den Schulbauprogrammen in Hamburg und München auseinandergesetzt, Vor-Ort-Termine gemacht und 2016 gemeinsam mit der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung eine große Veranstaltung zum Schulbau auf die Beine gestellt. Die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres versprach dort, sich des Themas anzunehmen. Rückblickend war das der Auftakt für die Schulbauoffensive. Heute entstehen überall in der Stadt die neuen Compartment-Schulen nach dem Raumkonzept der Berliner Lern- und Teamhäuser. Bei den Architekturwettbewerben durfte ich schon mehrfach im Preisgericht sitzen – eine total spannende Aufgabe. Wenn du dann in dem fertigen Gebäude stehst, denkst du dir: Wow. Krass. Daran hast du mitgestaltet?

 

Was sind Probleme, mit denen Sie sich aktuell so herumschlagen?

Wenn Sie zwei Stunden Zeit haben, zähle ich Ihnen gern alles auf (lacht). Unsere Hauptthemen sind derzeit der Lehrkräftemangel und damit verbundene Konsequenzen – Stichwort PISA-Studie – sowie die angespannte Schulplatzsituation. Beides ist in Marzahn-Hellersdorf besonders dramatisch. Wir fühlen uns hier tatsächlich etwas vernachlässigt, was die Unterstützung aus der Stadtmitte betrifft.

 

Die neue Bildungssenatorin wohnt in Mahlsdorf und hat dort auch ihren Wahlkreis. Haben Sie das Gefühl, dass sie Marzahn-Hellersdorf mehr im Blick hat als ihre Amtsvorgängerinnen?

Sie steht natürlich unter Beobachtung und wird sich nicht nachsagen lassen wollen, dass sie den einen oder anderen Bezirk bevorteilt. Aus Sicht der Bezirkselternvertretung war der Verzicht auf die Lehrkräftesteuerung jedenfalls ein Kardinalsfehler. Der trifft ausgerechnet die beiden Bezirke besonders hart, aus denen die Bildungssenatorin und der Regierende Bürgermeister kommen: Marzahn-Hellersdorf und Spandau. Wir warten noch auf die Statistiken der Schulaufsicht zum Anteil der Seiten- oder Quereinsteigenden und der universitär ausgebildeten Lehrkräfte an den einzelnen Schulen. Ich ahne aber Schlimmes und fürchte, dass uns das zunehmend auf die Füße fallen wird.

 

Können Sie denn Lehrkräfte verstehen, die nicht nach Marzahn-Hellersdorf wollen?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt ein wunderbares Imagevideo. Darin wird eindrücklich gezeigt, dass wir ein total schöner Bezirk mit viel Grün, aufgeweckten Schülerinnen und Schülern und guter Infrastruktur sind. Anders als im S-Bahn-Ring findet man hier sogar noch einen Parkplatz vor der Haustür. Klar gibt es in der Innenstadt ein bisschen mehr Kultur, aber mit der S-Bahn bin ich in knapp einer halben Stunde im Zentrum Ost und in 45 Minuten im Zentrum West. Also wo ist das Problem?

 

■ Was frustriert Sie im Ehrenamt am meisten?

Ach, eigentlich habe ich eine unglaublich hohe Frustrationsgrenze, die sich auch hin und wieder nach oben verschiebt – manchmal zum Leidwesen meiner Mitstreitenden. Die finden, ich könnte hin und wieder früher auf den Tisch hauen. 

 

 Sie schlagen eher leise Töne an.

Ich ziehe Hintergrundspräche vor, in denen ich ein Problem klar darstelle und auf diese Weise versuche, Druck auf Politik und Verwaltung auszuüben. Wenn wir als Elternausschuss dann aber doch mal laut werden, ist die Wirkung umso größer.

 

■ Wie groß ist eigentlich derzeit die Bereitschaft bei Eltern, in den verschiedenen Gremien mitzuwirken?

Auf Bezirks- und Landesebene rücken immer wieder engagierte Mütter und Väter nach. Das ist außerordentlich erfreulich. In manchen Klassen und Schulen würde ich mir hingegen mehr Mitwirkung wünschen. Das ist vielleicht so ein Punkt, der mich manchmal doch frustriert. Denn nur auf der Couch sitzen und meckern bringt uns ja nicht weiter. Wir könnten viel mehr sein, die sich für eine bessere Bildung unserer Kinder starkmachen. Es gibt 395.000 Schülerinnen und Schüler in der Stadt und entsprechend viele Eltern. Bei der großen „Bildungswende JETZT“-Demonstration im September waren etwa 10.000 auf der Straße. Ich finde, es hätten ein paar Hunderttausend sein können, um sichtbar zu machen, dass eine große Masse hinter unseren Forderungen steht.

 

■ Wenn Sie einen Wunsch für die Berliner Bildung frei hätten, welcher wäre das?

Dass wir die riesengroßen Herausforderungen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung und mit einer klaren Vision angehen. Ich wünsche mir, dass wir dabei die ganze Stadt im Blick haben und uns auf dem Weg aus der Bildungsmisere nicht von Abwägungsprozessen ausbremsen lassen wie: Schulbau? – Ja, aber nicht in meinem Hinterhof. Oder als Lehrkraft arbeiten? – Gerne doch, nur bitte nicht in Marzahn-Hellersdorf.