Polit-Prominenz kämpft um Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf
Dieser Wahlkreis hat es in sich
Der Bundeskanzler hat die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt und wie geplant verloren. Damit ist der Weg für die Auflösung des Bundestages frei. Am 23. Februar 2025 soll neu gewählt werden. Die Parteien laufen sich gerade für den Winterwahlkampf warm. In Berlin dürften viele Augen in den kommenden Wochen auf Marzahn-Hellersdorf gerichtet sein, denn dort kämpfen gleich mehrere prominente Gesichter ums Direktmandat.
Mario Czaja (CDU)
„Titelverteidiger“ ist Mario Czaja von der CDU. In überraschender Deutlichkeit gelang es ihm bei der Bundestagswahl 2021, der Linken-Politikerin Petra Pau nach 20 Jahren das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf abzuluchsen. Czajas historischer Sieg war einer der ganz wenigen Lichtblicke in einer für die Christdemokraten völlig erfolgsarmen Zeit. Das imponierte Friedrich Merz derart, dass er den Mann aus dem Osten der Hauptstadt zum Generalsekretär der Bundes-CDU machte. Im Sommer 2023 aber war der den Posten schon wieder los.
In seiner Rede vor den CDU-Delegierten nannte Czaja seine bundespolitischen Prioritäten: „Was verteilt werden soll, muss vorab erarbeitet werden. Dieser einfache Grundsatz ist seit drei Jahren ins Wanken geraten. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat die Wirtschaft drei Jahre hintereinander stagniert.“ Außerdem vertritt der in Mahlsdorf aufgewachsene und gerade bei den Menschen im Siedlungsgebiet beliebte Christdemokrat die Auffassung, dass das Bürgergeld falsche Anreize setze. Wer Unterstützung vom Staat bekomme, aber nie in die Staatskasse eingezahlt habe, müsse auch der Gemeinschaft etwas zurückgeben. „Aufgaben im öffentlichen Raum, unseren Bezirkseinrichtungen, Schulen und Kitas gibt es dafür zu genüge“, so Czaja
Herausgefordert wird der 49-jährige Diplom-Betriebswirt von der rebellischen Linke-Abgeordneten Katalin Gennburg, dem BSW-Neuzugang und Noch-Chefscout von Bundesligist Union Berlin, Oliver Ruhnert, sowie dem innenpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Dr. Gottfried Curio. Für die SPD zieht Ben Schneider in den Bundestagswahlkampf. Er ist Juso und Mitglied des SPD-Landesvorstandes. Die Grünen setzen auf die Sozialpolitikerin Maren Tepper, während die FDP den Studenten Konrad Klamann ins Rennen ums Direktmandat schickt.
Katalin Gennburg (Linke)
Katalin Gennburg tritt in die Fußstapfen von Petra Pau, die nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Die 40-jährige Stadtentwicklungspolitikerin und Anti-Kapitalistin mit „Platten-Biografie“ weiß, wie Wahlkampf geht: Sie hat dreimal in Treptow-Köpenick das Direktmandat fürs Berliner Abgeordnetenhaus errungen und setzt sich sowohl für bezahlbare Mieten in der Großsiedlung als auch gegen die „Grundsteuer-Abzocke“ im Siedlungsgebiet ein. Gennburg erklärt außerdem: „Ich streite mit den Menschen für eine gute Nahversorgung vor Ort: Ärzte und Apotheken, Kitas und Schulen, kurz: „die Stadt der kurzen Wege für Jung und Alt“. Zu ihren „Lieblingsthemen“ gehören Berlins leergefallene Shopping-Center, die sie gern zu Sorgezentren umnutzen würde. Über ihre Kandidatur sagt die Abgeordnete: Sie wolle Marzahn-Hellersdorf weder den Nazis überlassen noch dem, wie sie es in Richtung CDU formuliert, „Filz von Czaja, Gräff & Co.“ Gennburg wurde in Weißenfels geboren, hat einen Master in Urbanistik und ist Mutter einer 15-jährigen Tochter.
Oliver Ruhnert (BSW)
Den größten Promi-Bonus im Wahlkreis dürfte Oliver Ruhnert haben. Er ist den meisten Fußballfans im Bezirk als Erfolgsarchitekt des 1. FC Union Berlin bekannt. Ende dieses Jahres hört der frühere Manager der Köpenicker auch als Chefscout auf, um sich komplett ins Abenteuer Politik zu stürzen. Bevor er dem Bündnis Sarah Wagenknecht beitrat, war Ruhnert bei der Linkspartei und davor SPD-Mitglied. Das Berliner BSW hat ihn auf Listenplatz 1 für die Bundestagswahl gesetzt. Sollte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, hieße das für die kommenden vier Jahre: hohes Haus statt Alte Försterei – auch ohne Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf. Aber auch im Bezirk stehen seine Chancen alles andere als schlecht. Bei der Europa-Wahl hat das BSW berlinweit das beste Ergebnis erzielt. Mit 17,1 Prozent wurde die Partei knapp vor der CDU (16,4 %) zweitstärkste Kraft hinter der AfD (25,3 %). In seiner Vorstellungsrede erklärte der 53-jährige Sauerländer Anfang Dezember, soziale Ungerechtigkeiten hätten ihn politisiert. In der Grundschule erlebte er, wie Mitschüler aus besserem Hause trotz gleich guter Leistungen eine Empfehlung fürs Gymnasium erhielten, er hingegen nur für die Hauptschule. Das Abi holte Ruhnert dann auf dem zweiten Bildungsweg nach. Er sprach in seiner Bewerbungsrede über Kinderarmut, seine kommunalpolitischen Erfahrungen im Stadtrat von Iserlohn, über „geregelte Migration“ und den Ukraine-Krieg. Im Bundestag werde das BSW als „starke Stimme für den Frieden“ gebraucht.
Ben Schneider (SPD)
Ben Schneider wohnt seit über zehn Jahren in einer Plattenbauwohnung in Marzahn-Hellersdorf und ist für die SPD unter anderem als Juso-Sprecher und Abteilungsvorsitzender in Marzahn-Nord aktiv. Der 26-Jährige kann Kampagne. Er arbeitet in einer Berliner Agentur für strategische Kommunikation, deren erster Kunde 2018 die SPD war. 2023 koordinierte er für die Sozialdemokraten im Bezirk den Wiederholungswahlkampf. Ben Schneider sagt, er kenne die Themen, mit denen sich die Leute in seiner Nachbarschaft so herumschlagen. „Die Zeiten sind für viele Menschen im Bezirk herausfordernd. Preissteigerungen im Supermarkt, hohe Mieten oder fehlende Ärzte bereiten den Leuten im Alltag Sorgen.“ Er wolle sich für eine Politik einsetzen, die diese Sorgen sehe, ernst nehme und an konkreten Lösungen arbeite. „Der Schuldenbremsen-Fetischismus von CDU und anderen sorgt dafür, dass es reihenweise an Investitionen in unserem Bezirk mangelt. Die Bundestagswahl ist auch eine Entscheidung darüber, ob wir mehr in das Land und unsere Menschen investieren wollen oder ob sich Friedrich Merz mit seinen Ideen vom sozialen Kahlschlag durchsetzt“, gibt sich der Nachwuchspolitiker angriffslustig.
Dr. Gottfried Curio (AfD)
AfD-Innenpolitiker Dr. Gottfried Curio steht auf Platz zwei der Landesliste seiner Partei und kommt aus Zehlendorf. Der Diplom-Mathematiker und -Physiker ist ein Scharfmacher und gehört zu den besten Rhetorikern der AfD-Bundestagsfraktion. Seine radikalen Reden im Parlament werden relativ erfolgreich auf Youtube verbreitet. In seiner Vorstellungsrede Mitte Oktober bescheinigte er der Ampelregierung eine „verheerende Migrationspolitik, angelegt auf maximalen Ausländerimport“ und kritisierte „Turboeinbürgerungen“ innerhalb von drei Jahren. Durch diese Politik, so die Verschwörungstheorie des 64-Jährigen, sei in wenigen Jahren der „Kipppunkt überschritten, wo die linksgrünen Deutschlandfeinde zusammen mit rasch eingebürgerten Syrern und Afghanen der angestammten deutschen Bevölkerung ihr Land unter den Füßen wegziehen sollen.“ Den Parteien links der Mitte unterstellt Curio: „Die wollen Deutschland zum Siedlungsgebiet für die Dritte Welt machen.“ Der CDU hält er vor, sie habe „gar keine Überzeugung, außer ihren Machtzynismus.“ Der Rechtspopulist scheut auch nicht davor zurück, NS-Vokabeln am Rednerpult zu benutzen. In einer Bundestagsdebatte über die doppelte Staatsbürgerschaft sprach er unter anderem von dem „zur Regel entarteten Doppelpass“.
Maren Tepper (Grüne)
Maren Tepper von den Grünen lebt in Marzahn-Hellersdorf, ist staatlich geprüfte Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat viele Jahre als generalistische Pflegefachkraft gearbeitet. Tepper weiß, wovon sie redet, wenn sie sich für konkrete Verbesserungen im Pflegesektor ausspricht. „Aufgrund des demographischen Wandels stehen wir bereits heute vor großen Herausforderungen, um die pflegerische Versorgung in Marzahn-Hellersdorf sicherzustellen. Die Politik muss gemeinsam mit Personen aus der Praxis und der Wissenschaft Lösungen erarbeiten, um diese Herausforderungen heute und in den nächsten Jahren bewältigen zu können“, fordert sie. Weitere Herzensthemen der Grünen-Politikerin sind Gesundheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt und die Stärkung von Frauen. Außerdem warnt sie davor, mit den Bemühungen um den Klima- und Umweltschutz nachzulassen. Alte Gebäude müssten saniert, Maßnahmen der Mobilitätswende umgesetzt und Schienen und Brücken saniert werden, was über Jahrzehnte verschlafen wurde.
Konrad Klamann (FDP)
Der Jüngste unter den Kontrahenten um das Bundestagsdirektmandat ist Konrad Klamann von der FDP. Der 20-Jährige kommt aus Biesdorf und wohnt aktuell in Marzahn unweit der Gärten der Welt. Er ist bei den Jungen Liberalen aktiv und will sich für eine Politik einsetzen, die nicht bevormunde, sondern Perspektiven eröffne, den Wohlstand aller fördere und gleichzeitig ökonomische Vernunft walten lasse. „Ich möchte auch junge Menschen in meinem Alter ansprechen und anregen, sich einzubringen“, begründet Klamann sein Engagement. Es gelte heute die Weichen zu stellen, damit seine Generation zukünftig in Freiheit und Wohlstand leben könne, sagt er.